Warschauer Pakt
VERTRAG
über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand
zwischen der Volksrepublik Albanien, der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik, der Deutschen Demokratischen Republik, der Volksrepublik Polen, der Rumänischen Volksrepublik, der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Tschechoslowakischen Republik.
["Warschauer Vertrag" bzw. "Warschauer Pakt"
Vom 14. Mai 1955]
Die Vertragschließenden Seiten haben beschlossen,
Unter erneuter Bekundung ihres Strebens nach Schaffung eines auf der Teilnahme aller europäischen Staaten, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, beruhenden Systems der kollektiven Sicherheit in Europa, das es ermöglichen würde, ihre Anstrengungen im Interesse der Sicherung des Friedens in Europa zu vereinigen,
Unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Lage, die in Europa durch die Ratifizierung der Pariser Verträge entstanden ist, welche die Bildung neuer militärischer Gruppierungen in Gestalt der "Westeuropäischen Union" unter Teilnahme eines remilitarisierten Westdeutschlands und dessen Einbeziehung in den Nordatlantikblock vorsehen, wodurch sich die Gefahr eines neuen Krieges erhöht und eine Bedrohung der nationalen Sicherheit der friedliebenden Staaten entsteht,
In der Überzeugung, daß unter diesen Bedingungen die friedliebenden Staaten Europas zur Gewährleistung ihrer Sicherheit und im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens in Europa notwendige Maßnahmen ergreifen müssen,
Geleitet von den Zielen und Grundsätzen der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen,
Im Interesse der weiteren Festigung und Entwicklung der Freundschaft, der Zusammenarbeit und des gegenseitigen Beistandes in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Achtung der Unabhängigkeit und der Souveränität der Staaten, sowie der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten,
Diesen Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand abzuschließen, und ihre Bevollmächtigten ernannt:
das Präsidium der Volksversammlung der Volksrepublik Albanien – Mehmet Shehu, Vorsitzenden des Ministerrates der Volksrepublik Albanien,
das Präsidium der Volksversammlung der Volksrepublik Bulgarien – Wylkow Tscherwenkoff, Vorsitzenden des Ministerrates der Volksrepublik Bulgarien,
das Präsidium der Ungarischen Volksrepublik – András Hegedüs, Vorsitzenden des Ministerrates der Ungarischen Volksrepublik,
der Präsident der Deutschen Demokratischen Republik – Otto Grotewohl, Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik,
der Staatsrat der Volksrepublik Polen – Józef Cyrankiewicz, Vorsitzenden des Ministerrates der Volksrepublik Polen,
das Präsidium der Großen Nationalversammlung der Rumänischen Volksrepublik – Gheorghe Gheorghiu-Dej, Vorsitzenden des Ministerrates der Rumänischen Volksrepublik,
das Präsidium des Obersten Sowjets der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken – Nikolai Alexandrowitsch Bulganin, Vorsitzenden des Ministerrates der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,
der Präsident der Tschechoslowakischen Republik – Viliam Siroky, Ministerpräsident der Tschechoslowakischen Republik,
die ihre in gehöriger Form und in Ordnung befundenen Vollmachten vorlegten und über folgendes übereinkamen:
Artikel 1
Die Vertragschließenden Seiten verpflichten sich in Übereinstimmung mit der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen, sich in ihren internationalen Beziehungen der Drohung mit Gewalt oder ihrer Anwendung zu enthalten und ihre internationalen Streitfragen mit friedlichen Mitteln so zu lösen, daß der Weltfrieden und die Sicherheit nicht gefährdet werden.
Artikel 2
[1] Die Vertragschließenden Seiten erklären ihre Bereitschaft, sich im Geiste aufrichtiger Zusammenarbeit an allen internationalen Handlungen zu beteiligen, deren Ziel die Gewährleistung des Weltfriedens und der Sicherheit ist, und werden alle ihre Kräfte für die Verwirklichung dieser Ziele einsetzen.
[2] Hierbei werden sich die Vertragschließenden Seiten dafür einsetzen, in Vereinbarung mit anderen Staaten, die eine diesbezügliche Zusammenarbeit wünschen, wirksame Maßnahmen zur allgemeinen Abrüstung und zum Verbot von Atom-, Wasserstoff- und anderen Massenvernichtungswaffen zu ergreifen.
Artikel 3
[1] Die Vertragschließenden Seiten werden sich in allen wichtigen internationalen Fragen, die ihre gemeinsamen Interessen berühren, beraten und sich dabei von den Interessen der Festigung des Weltfriedens und der Sicherheit leiten lassen.
[2] Sie werden sich im Interesse der Gewährleistung der gemeinsamen Verteidigung und der Erhaltung des Friedens und der Sicherheit untereinander unverzüglich jedes Mal beraten, wenn nach Meinung einer der Seiten die Gefahr eines bewaffneten Überfalls auf einen oder mehrere Teilnehmerstaaten des Vertrages entsteht.
Artikel 4
[1] Im Falle eines bewaffneten Überfalles in Europa auf einen oder mehrere Teilnehmerstaaten des Vertrages seitens irgendeines oder einer Gruppe von Staaten wird jeder Teilnehmerstaat des Vertrages in Verwirklichung des Rechtes auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung in Übereinstimmung mit Artikel 51 der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen dem Staat oder den Staaten, die einem solchen Überfall ausgesetzt sind, sofortigen Beistand individuell und in Vereinbarung mit den anderen Teilnehmerstaaten des Vertrages mit allen Mitteln, die ihnen erforderlich erscheinen, einschließlich der Anwendung von militärischer Gewalt erweisen. Die Teilnehmerstaaten des Vertrages werden sich unverzüglich über gemeinsame Maßnahmen beraten, die zum Zwecke der Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der Sicherheit zu ergreifen sind.
[2] Von den Maßnahmen, die auf Grund dieses Artikels ergriffen wurden, wird dem Sicherheitsrat entsprechend den Bestimmungen der Satzung der Organisation der Vereinten Nationen Mitteilung gemacht. Diese Maßnahmen werden eingestellt, sobald der Sicherheitsrat die Maßnahmen ergreift, die zur Wiederherstellung und Erhaltung des Weltfriedens und der Sicherheit erforderlich sind.
Artikel 5
Die Vertragschließenden Seiten kamen überein, ein Vereintes Kommando derjenigen ihrer Streitkräfte zu schaffen, die nach Vereinbarung zwischen den Seiten diesem auf Grund gemeinsam festgelegter Grundsätze handelnden Kommando zur Verfügung gestellt werden. Sie werden auch andere vereinbarte Maßnahmen ergreifen, die zur Stärkung ihrer Wehrfähigkeit notwendig sind, um die friedliche Arbeit ihrer Völker zu beschützen, die Unantastbarkeit ihrer Grenzen und Territorien zu garantieren und den Schutz gegen eine mögliche Aggression zu gewährleisten.
Artikel 6
[1] Zur Durchführung der in diesem Vertrag vorgesehenen Beratungen zwischen den Teilnehmerstaaten des Vertrages und zur Erörterung von Fragen, die im Zusammenhang mit der Verwirklichung dieses Vertrages entstehen, wird ein Politischer Beratender Ausschuß gebildet, in den jeder Teilnehmerstaat des Vertrages ein Regierungsmitglied oder einen anderen besonders ernannten Vertreter delegiert.
[2] Der Ausschuß kann, wenn es erforderlich ist, Hilfsorgane schaffen.
Artikel 7
[1] Die Vertragschließenden Seiten übernehmen die Verpflichtung, sich an keinen Koalitionen oder Bündnissen zu beteiligen und keine Abkommen abzuschließen, deren Zielsetzung den Zielen dieses Vertrages widerspricht.
[2] Die Vertragschließenden Seiten erklären, daß ihre Verpflichtungen aus bestehenden internationalen Verträgen nicht im Widerspruch zu den Bestimmungen dieses Vertrages stehen.
Artikel 8
Die Vertragschließenden Seiten erklären, daß sie im Geiste der Freundschaft und der Zusammenarbeit für die Weiterentwicklung und Festigung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen untereinander in Befolgung der Grundsätze der gegenseitigen Achtung ihrer Unabhängigkeit und Souveränität und der Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten handeln werden.
Artikel 9
Dieser Vertrag steht anderen Staaten zum Beitritt offen, die, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung, ihre Bereitschaft bekunden, durch Teilnahme an diesem Vertrag zur Vereinigung der Anstrengungen der friedliebenden Staaten zum Zwecke der Gewährleistung des Friedens und der Sicherheit der Völker beizutragen. Dieser Beitritt wird mit dem Einverständnis der Teilnehmerstaaten des Vertrages, nach der Hinterlegung der Beitrittsurkunde bei der Regierung der Volksrepublik Polen in Kraft treten.
Artikel 10
[1] Dieser Vertrag bedarf der Ratifizierung. Die Ratifikationsurkunden werden bei der Regierung der Volksrepublik Polen hinterlegt.
[2] Der Vertrag tritt am Tage der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde in Kraft.[1] Die Regierung der Volksrepublik Polen wird die anderen Teilnehmerstaaten des Vertrages von der Hinterlegung einer jeden Ratifikationsurkunde in Kenntnis setzen.
Artikel 11
[1] Dieser Vertrag bleibt 20 Jahre in Kraft. Für die Vertragschließenden Seiten, die ein Jahr vor Ablauf dieser Frist der Regierung der Volksrepublik Polen keine Erklärung über die Kündigung dieses Vertrages übergeben, bleibt er weitere 10 Jahre in Kraft.
[2] Im Falle der Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa und des Abschlusses eines diesem Ziel dienenden Gesamteuropäischen Vertrages über kollektive Sicherheit, den die Vertragschließenden Seiten unentwegt anstreben werden, verliert dieser Vertrag am Tage des Inkrafttretens des Gesamteuropäischen Vertrages seine Gültigkeit.
Ausgefertigt in Warschau am vierzehnten Mai 1955 in einem Exemplar in deutscher, russischer, polnischer und tschechischer Sprache,[2] wobei alle Texte gleiche Gültigkeit haben. Beglaubigte Abschriften dieses Vertrages wird die Regierung der Volksrepublik Polen allen anderen Vertragsteilnehmern übergeben.
Zur Bestätigung dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterschrieben und mit Siegeln versehen:
In Vollmacht des Präsidiums der Volksversammlung der Volksrepublik Albanien
Mehmet Shehu
In Vollmacht des Präsidiums der Volksversammlung der Volksrepublik Bulgarien
W. Tscherwenkoff
In Vollmacht des Präsidiums der Ungarischen Volksrepublik
Hegedüs András
In Vollmacht des Präsidenten der Deutschen Demokratischen Republik
O. Grotewohl
In Vollmacht des Staatsrates der Volksrepublik Polen
Cyrankiewicz
In Vollmacht des Präsidiums der Großen Nationalversammlung der Rumänischen Volksrepublik
Gheorghe Gheorghiu-Dej
In Vollmacht des Präsidiums des Obersten Sowjets der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken
N. Bulganin
In Vollmacht des Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik
V. Široký