Paulskirchenverfassung
- Details
- Kategorie: Dokumente
- Veröffentlicht: Dienstag, 13. Dezember 2022 10:24
Verfassung des Deutschen Reiches.
["Frankfurter Reichsverfassung" bzw. "Paulskirchen-Verfassung"]
[vom 28. März 1849]
Die deutsche verfassunggebende Nationalversammlung hat beschlossen, und verkündigt als Reichsverfassung:
Verfassung des deutschen Reiches.
[1] Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bundes.
[2] Die Festsetzung der Verhältnisse des Herzogthums Schleswig bleibt vorbehalten.
[1] Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so soll das deutsche Land eine von dem nichtdeutschen Lande getrennte eigene Verfassung, Regierung und Verwaltung haben. In die Regierung und Verwaltung des deutschen Landes dürfen nur deutsche Staatsbürger berufen werden.
[2] Die Reichsverfassung und die Reichsgesetzgebung hat in einem solchen deutschen Lande dieselbe verbindliche Kraft, wie in den übrigen deutschen Ländern.
Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so muß dieses entweder in seinem deutschen Lande residiren, oder es muß auf verfassungsmäßigem Wege in demselben eine Regentschaft niedergesetzt werden, zu welcher nur Deutsche berufen werden dürfen.
Abgesehen von den bereits bestehenden Verbindungen deutscher und nichtdeutscher Länder soll kein Staatsoberhaupt eines nichtdeutschen Landes zugleich zur Regierung eines deutschen Landes gelangen, noch darf ein in Deutschland regierender Fürst, ohne seine deutsche Regierung abzutreten, eine fremde Krone annehmen.
Die einzelnen deutschen Staaten behalten ihre Selbstständigkeit, soweit dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt ist; sie haben alle staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der Reichsgewalt ausdrücklich übertragen sind.
Abschnitt II. Die Reichsgewalt.
[1] Die Reichsgewalt ausschließlich übt dem Auslande gegenüber die völkerrechtliche Vertretung Deutschlands und der einzelnen deutschen Staaten aus.
[2] Die Reichsgewalt stellt die Reichsgesandten und die Consuln an. Sie führt den diplomatischen Verkehr, schließt die Bündnisse und Verträge mit dem Auslande, namentlich auch die Handels- und Schifffahrtsverträge, sowie die Auslieferungsverträge ab. Sie ordnet alle völkerrechtlichen Maaßregeln an.
[1] Die einzelnen deutschen Regierungen haben nicht das Recht, ständige Gesandte zu empfangen oder solche zu halten.
[2] Auch dürfen dieselben keine besonderen Consuln halten. Die Consuln fremder Staaten erhalten ihr Exequatur von der Reichsgewalt.
[3] Die Absendung von Bevollmächtigten an das Reichsoberhaupt ist den einzelnen Regierungen unbenommen.
[1] Die einzelnen deutschen Regierungen sind befugt, Verträge mit anderen deutschen Regierungen abzuschließen.
[2] Ihre Befugniß zu Verträgen mit nichtdeutschen Regierungen beschränkt sich auf Gegenstände des Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und der Polizei.
Alle Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche eine deutsche Regierung mit einer anderen deutschen oder nichtdeutschen abschließt, sind der Reichsgewalt zur Kenntnißnahme und, insofern das Reichsinteresse dabei betheiligt ist, zur Bestätigung vorzulegen.
Der Reichsgewalt ausschließlich steht das Recht des Krieges und Friedens zu.
Der Reichsgewalt steht die gesammte bewaffnete Macht Deutschlands zur Verfügung.
[1] Das Reichsheer besteht aus der gesammten, zum Zwecke des Krieges bestimmten Landmacht der einzelnen deutschen Staaten. Die Stärke und Beschaffenheit des Reichsheeres wird durch das Gesetz über die Wehrverfassung bestimmt.
[2] Diejenigen Staaten, welche weniger als 500,000 Einwohner haben, sind durch die Reichsgewalt zu größeren militärischen Ganzen, welche dann unter der unmittelbaren Leitung der Reichsgewalt stehen, zu vereinigen, oder einem angrenzenden größeren Staate anzuschließen.
[3] Die näheren Bedingungen einer solchen Vereinigung sind in beiden Fällen durch Vereinbarung der betheiligten Staaten unter Vermittlung und Genehmigung der Reichsgewalt festzustellen.
[1] Die Reichsgewalt ausschließlich hat in Betreff des Heerwesens die Gesetzgebung und die Organisation; sie überwacht deren Durchführung in den einzelnen Staaten durch fortdauernde Controle.
[2] Den einzelnen Staaten steht die Ausbildung ihres Kriegswesens auf Grund der Reichsgesetze und der Anordnungen der Reichsgewalt und beziehungsweise in den Grenzen der nach §. 12 getroffenen Vereinbarungen zu. Sie haben die Verfügung über ihre bewaffnete Macht, soweit dieselbe nicht für den Dienst des Reiches in Anspruch genommen wird.
In den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung an erster Stelle aufzunehmen.
Alle durch Verwendung von Truppen zu Reichszwecken entstehenden Kosten, welche den durch das Reich festgesetzten Friedensstand übersteigen, fallen dem Reiche zur Last.
Ueber eine allgemeine für ganz Deutschland gleiche Wehrverfassung ergeht ein besonderes Reichsgesetz.
[1] Den Regierungen der einzelnen Staaten bleibt die Ernennung der Befehlshaber und Offiziere ihrer Truppen, soweit deren Stärke sie erheischt, überlassen.
[2] Für die größeren militärischen Ganzen, zu denen Truppen mehrerer Staaten vereinigt sind, ernennt die Reichsgewalt die gemeinschaftlichen Befehlshaber.
[3] Für den Krieg ernennt die Reichsgewalt die commandirenden Generale der selbstständigen Corps, sowie das Personale der Hauptquartiere.
[1] Der Reichsgewalt steht die Befugniß zu, Reichsfestungen und Küstenvertheidigungswerke anzulegen und, insoweit die Sicherheit des Reiches es erfordert, vorhandene Festungen gegen billige Ausgleichung, namentlich für das überlieferte Kriegsmaterial, zu Reichsfestungen zu erklären.
[2] Die Reichsfestungen und Küstenvertheidigungswerke des Reiches werden auf Reichskosten unterhalten.
[1] Die Seemacht ist ausschließliche Sache des Reiches. Es ist keinem Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten oder Kaperbriefe auszugeben.
[2] Die Bemannung der Kriegsflotte bildet einen Theil der deutschen Wehrmacht. Sie ist unabhängig von der Landmacht.
[3] Die Mannschaft, welche aus einem einzelnen Staate für die Kriegsflotte gestellt wird, ist von der Zahl der von demselben zu haltenden Landtruppen abzurechnen. Das Nähere hierüber, sowie über die Kostenausgleichung zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten bestimmt ein Reichsgesetz.
[4] Die Ernennung der Offiziere und Beamten der Seemacht geht allein vom Reiche aus.
[5] Der Reichsgewalt liegt die Sorge für die Ausrüstung, Ausbildung und Unterhaltung der Kriegsflotte und die Anlegung, Ausrüstung und Unterhaltung von Kriegshäfen und See-Arsenalen ob.
[6] Ueber die zur Errichtung von Kriegshäfen und Marine-Etablissements nöthigen Enteignungen, so wie über die Befugnisse der dabei anzustellenden Reichsbehörden, bestimmen die zu erlassenden Reichsgesetze.
[1] Die Schifffahrtsanstalten am Meere und in den Mündungen der deutschen Flüsse (Häfen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lotsenwesen, das Fahrwasser usw.) bleiben der Fürsorge der einzelnen Uferstaaten überlassen. Die Uferstaaten unterhalten dieselben aus eigenen Mitteln.
[2] Ein Reichsgesetz wird bestimmen, wie weit die Mündungen der einzelnen Flüsse zu rechnen sind.
[1] Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht über die Anstalten und Einrichtungen.
[2] Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehöriger Unterhaltung derselben anzuhalten, auch dieselben aus den Mitteln des Reiches zu vermehren und zu erweitern.
Die Abgaben, welche in den Seeuferstaaten von den Schiffen und deren Ladungen für die Benutzung der Schifffahrtsanstalten erhoben werden, dürfen die zur Unterhaltung dieser Anstalten nothwendigen Kosten nicht übersteigen. Sie unterliegen der Genehmigung der Reichsgewalt.
[1] In Betreff dieser Abgaben sind alle deutschen Schiffe und deren Ladungen gleichzustellen.
[2] Eine höhere Belegung fremder Schifffahrt kann nur von der Reichsgewalt ausgehen.
[3] Die Mehrhabgabe von fremder Schifffahrt fließt in die Reichskasse.
[1] Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht über die in ihrem schiffbaren Lauf mehrerer Staaten durchströmenden oder begrenzenden Flüsse oder Seen und über die Mündungen der in dieselben fallenden Nebenflüsse, so wie über den Schifffahrtsbetrieb und die Flößerei auf denselben.
[2] Auf welche Weise die Schiffbarkeit dieser Flüsse erhalten oder verbessert werden soll, bestimmt ein Reichsgesetz.
[3] Die übrigen Wasserstraßen bleiben der Fürsorge der Einzelstaaten überlassen. Doch steht es der Reichsgewalt zu, wenn sie es im Interesse des allgemeinen Verkehrs für nothwendig erachtet, allgemeine Bestimmungen über den Schifffahrtsbetrieb und die Flößerei auf denselben zu erlassen, so wie einzelne Flüsse unter derselben Voraussetzung den oben erwähnten gemeinsamen Flüssen gleich zu stellen.
[4] Die Reichsgewalt ist befugt, die Einzelstaaten zu gehöriger Erhaltung der Schiffbarkeit dieser Wasserstraßen anzuhalten.
[1] Alle deutschen Flüsse sollen für die deutsche Schifffahrt von Flußzöllen frei sein. Auch die Flößerei soll auf schiffbaren Flußstrecken solchen Abgaben nicht unterliegen. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
[2] Bei den mehrere Staaten durchströmenden oder begrenzenden Flüssen tritt für die Aufhebung dieser Flußzölle eine billige Ausgleichung ein.
[1] Die Hafen-, Krahn-, Waag-, Lager-, Schleusen- und dergleichen Gebühren, welche an den gemeinschaftlichen Flüssen und den Mündungen der in dieselben sich ergießenden Nebenflüsse erhoben werden, dürfen die zur Unterhaltung derartiger Anstalten nöthigen Kosten nicht übersteigen. Sie unterliegen der Genehmigung der Reichsgewalt.
[2] Es darf in Betreff dieser Gebühren keinerlei Begünstigungen der Angehörigen eines deutschen Staates vor denen anderer deutscher Staaten stattfinden.
Flußzölle und Schifffahrtsabgaben dürfen auf fremde Schiffe und deren Ladungen nur durch die Reichsgewalt gelegt werden.
Die Reichsgewalt hat über die Eisenbahnen und deren Betrieb, soweit es der Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt, die Oberaufsicht und das Recht der Gesetzgebung. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstände dahin zu rechnen sind.
Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des Reiches oder im Interesse des allgemeinen Verkehrs für nothwendig erachtet, die Anlage von Eisenbahnen zu bewilligen, so wie selbst Eisenbahnen anzulegen, wenn der Einzelstaat, in dessen Gebiet die Anlage erfolgen soll, deren Ausführung ablehnt. Die Benutzung der Eisenbahnen für Reichszwecke steht der Reichsgewalt jederzeit gegen Entschädigung frei.
Bei der Anlage oder Bewilligung von Eisenbahnen durch die einzelnen Staaten ist die Reichsgewalt befugt, den Schutze des Reiches und das Interesse des allgemeinen Verkehrs wahrzunehmen.
Die Reichsgewalt hat über die Landstraßen die Oberaufsicht und das Recht der Gesetzgebung, soweit es der Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt. Ein Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstände dahin zu rechnen sind.
[1] Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des Reiches oder im Interesse des allgemeinen Verkehrs für nothwendig erachtet, zu verfügen, daß Landstraßen und Kanäle angelegt, Flüsse schiffbar gemacht oder deren Schiffbarkeit erweitert werde.
[2] Die Anordnung der dazu erforderlichen baulichen Werke erfolgt nach vorgängigem Benehmen mit den betheiligten Einzelstaaten durch die Reichsgewalt.
[3] Die Ausführung und Unterhaltung der neuen Anlagen geschieht von Reichswegen und auf Reichskosten, wenn eine Verständigung mit den Einzelstaaten nicht erzielt wird.
[1] Das deutsche Reich soll Ein Zoll- und Handelsgebiet bilden, umgeben von gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzölle.
[2] Die Aussonderung einzelner Orte und Gebietstheile aus der Zolllinie bleibt der Reichsgewalt vorbehalten.
[3] Der Reichsgewalt bliebt es ferner vorbehalten, auch nicht zum Reiche gehörige Länder und Landestheile mittelst besonderer Verträge dem deutschen Zollgebiete anzuschließen.
Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesammte Zollwesen, so wie über gemeinschaftliche Produktions- und Verbrauchs-Steuern. Welche Produktions- und Verbrauchs-Steuern gemeinschaftlich sein sollen, bestimmt die Reichsgesetzgebung.
[1] Die Erhebung und Verwaltung der Zölle, so wie der gemeinschaftlichen Produktions- und Verbrauchs-Steuern, geschieht nach Anordnung und unter Oberaufsicht der Reichsgewalt.
[2] Aus dem Ertrage wird ein bestimmter Theil nach Maaßgabe des ordentlichen Budgets für die Ausgaben des Reiches vorweggenommen, das Uebrige wird an die einzelnen Staaten vertheilt.
[3] Ein besonderes Reichsgesetz wird hierüber Näheres feststellen.
Auf welche Gegenstände die einzelnen Staaten Produktions- und Verbrauchs-Steuern für Rechnung des Staates oder einzelner Gemeinden legen dürfen, und welche Bedingungen und Beschränkungen dabei eintreten sollen, wird durch die Reichsgesetzgebung bestimmt.
Die einzelnen deutschen Staaten sind nicht befugt, auf Güter, welche über die Reichsgrenze ein- oder ausgehen, Zölle zu legen.
Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung über den Handel und die Schifffahrt und überwacht die Ausführung der darüber erlassenen Reichsgesetze.
Der Reichsgewalt steht es zu, über das Gewerbewesen Reichsgesetze zu erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen.
Erfindungs-Patente werden ausschließlich von Reichswegen auf Grundlage eines Reichsgesetzes ertheilt; auch steht der Reichsgewalt ausschließlich die Gesetzgebung gegen den Nachdruck von Büchern, jedes unbefugte Nachahmen von Kunstwerken, Fabrikzeichen, Mustern und Formen und gegen andere Beeinträchtigungen des geistigen Eigenthums zu.
[1] Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht über das Postwesen, namentlich die Organisation, Tarife, Transit, Portotheilung und die Verhältnisse zwischen den einzelnen Postverwaltungen.
[2] Dieselbe sorgt für gleichmäßige Anwendung der Gesetze durch Vollzugsverordnungen, und überwacht deren Durchführung in den einzelnen Staaten durch fortdauernde Controle.
[3] Der Reichsgewalt steht es zu, die innerhalb mehrerer Postgebiete sich bewegenden Course im Interesse des allgemeinen Verkehrs zu ordnen.
Postverträge mit ausländischen Postverwaltungen dürfen nur von der Reichsgewalt oder mit deren Genehmigung geschlossen werden.
Die Reichsgewalt hat die Befugniß, insofern es ihr nöthig scheint, das deutsche Postwesen für Rechnung des Reiches in Gemäßheit eines Reichsgesetzes zu übernehmen, vorbehaltlich billiger Entschädigung der Berechtigten.
[1] Die Reichsgewalt ist befugt, Telegraphenlinien anzulegen, und die vorhandenen gegen Entschädigung zu benutzen, oder auf dem Wege der Enteignung zu erwerben.
[2] Weitere Bestimmungen hierüber, so wie die Benutzung der Telegraphen für den Privatverkehr, sind einem Reichsgesetz vorbehalten.
[1] Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung und die Oberaufsicht über das Münzwesen. Es liegt ihr ob, für ganz Deutschland dasselbe Münzsystem einzuführen.
[2] Sie hat das Recht, Reichsmünzen zu prägen.
Der Reichsgewalt liegt es ob, in ganz Deutschland dasselbe System für Maaß und Gewicht, so wie für den Feingehalt der Gold- und Silberwaaren zu begründen.
Die Reichsgewalt hat das Recht, das Bankwesen und das Ausgeben von Papiergeld durch die Reichsgesetzgebung zu regeln. Sie überwacht die Ausführung der darüber erlassenen Reichsgesetze.
Die Ausgaben für alle Maaßregeln und Einrichtungen, welche von Reichswegen ausgeführt werden, sind von der Reichsgewalt aus den Mitteln des Reiches zu bestreiten.
Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist das Reich zunächst auf seinen Antheil an den Einkünften aus den Zöllen und den gemeinsamen Produktions- und Verbrauchs-Steuern angewiesen.
Die Reichsgewalt hat das Recht, insoweit die sonstigen Einkünfte nicht ausreichen, Matrikularbeiträge aufzunehmen.
Die Reichsgewalt ist befugt, in außerordentlichen Fällen Reichssteuern aufzulegen und zu erheben oder erheben zu lassen, so wie Anleihen zu machen oder sonstige Schulden zu contrahiren.
Der Umfang der Gerichtsbarkeit des bestimmt der Abschnitt vom Reichsgericht.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die kraft der Reichsverfassung allen Deutschen verbürgten Rechte oberaufsehend zu wahren.
[1] Der Reichsgewalt liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob. |
|
[1] Die Maaßregeln, welche von der Reichsgewalt zur Wahrung des Reichsfriedens ergriffen werden können, sind: 1) Erlasse, 2) Absendung von Commissarien, 3) Anwendung von bewaffneter Macht.
[2] Ein Reichsgesetz wird die Grundsätze bestimmen, nach welchen die durch solche Maaßregeln veranlaßten Kosten zu tragen sind.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die Fälle und Formen, in welchen die bewaffnete Macht gegen Störungen der öffentlichen Ordnung angewendet werden soll, durch ein Reichsgesetz zu bestimmen.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Normen über Erwerb und Verlust der Reichs- und Staatsbürgerrechts festzusetzen.
Der Reichsgewalt steht es zu, über das Heimathsrecht Reichsgesetze zu erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen.
Der Reichsgewalt steht es zu, unbeschadet des durch die Grundrechte gewährleisteten Rechte der freien Vereinigung und Versammlung, Reichsgesetze über das Associationswesen zu erlassen.
Die Reichsgesetzgebung hat für die Aufnahme öffentlicher Urkunden diejenigen Erfordernisse festzustellen, welche die Anerkennung ihrer Aechtheit in ganz Deutschland bedingen.
Die Reichsgewalt ist befugt, im Interesse des Gesammtwohls allgemeine Maaßregeln für die Gesundheitspflege zu treffen.
Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, soweit es zur Ausführung der ihr verfassungsmäßig übertragenen Befugniß und zum Schutze der ihr überlassenen Anstalten erforderlich ist.
Die Reichsgewalt ist befugt, wenn sie im Gesammtinteresse Deutschlands gemeinsame Einrichtungen und Maaßregeln nothwendig findet, die zur Begründung derselben erforderlichen Gesetze in den für die Veränderung der Verfassung vorgeschriebenen Formen zu erlassen.
Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen.
Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten verbindliche Kraft durch ihre Verkündung von Reichswegen.
Reichsgesetze gehen den Gesetzen der Einzelstaaten vor, insofern ihnen nicht ausdrücklich eine nur subsidiäre Geltung beigelegt ist.
[1] Die Anstellung der Reichsbeamten geht vom Reiche aus.
[2] Die Dienstpragmatik des Reiches wird ein Reichsgesetz feststellen.
Abschnitt III. Das Reichsoberhaupt.
Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen Fürsten übertragen.
Diese Würde ist erblich im Hause des Fürsten, dem sie übertragen worden. Sie vererbt im Mannesstamme nach dem Rechte der Erstgeburt.
Das Reichsoberhaupt führt den Titel: Kaiser der Deutschen.
[1] Die Residenz des Kaisers ist am Sitze der Reichsregierung. Wenigstens während der Dauer des Reichstags wird der Kaiser dort bleibend residiren.
[2] So oft sich der Kaiser nicht am Sitze der Reichsregierung befindet, muß einer der Reichsminister in seiner unmittelbaren Umgebung sein.
[3] Die Bestimmungen über den Sitz der Reichsregierung bleiben einem Reichsgesetz vorbehalten.
Der Kaiser bezieht eine Civilliste, welche der Reichstag festsetzt.
[1] Die Person des Kaisers ist unverletzlich.
[2] Der Kaiser übt die ihm übertragene Gewalt durch verantwortliche, von ihm ernannte Minister aus.
Alle Regierungshandlungen des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung von wenigstens einem der Reichsminister, welcher dadurch die Verantwortung übernimmt.
Der Kaiser übt die völkerrechtliche Vertretung des deutschen Reiches und der einzelnen deutschen Staaten aus. Er stellt die Reichsgesandten und die Consuln an und führt den diplomatischen Verkehr.
Der Kaiser erklärt Krieg und schließt Frieden.
Der Kaiser schließt die Bündnisse und Verträge mit den auswärtigen Mächten ab, und zwar unter Mitwirkung des Reichstags, insoweit diese in der Verfassung vorbehalten ist.
Alle Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche deutsche Regierungen unter sich oder mit auswärtigen Regierungen abschließen, sind dem Kaiser zur Kenntnißnahme, und insofern das Reichsinteresse dabei betheiligt ist, zur Bestätigung vorzulegen.
Der Kaiser beruft und beschließt den Reichstag; er hat das Recht, das Volkshaus aufzulösen.
Der Kaiser hat das Recht des Gesetzvorschlages. Er übt die gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsmäßigen Beschränkungen aus. Er verkündet die Reichsgesetze und erläßt die zur Vollziehung derselben nöthigen Verordnungen.
[1] In Strafsachen, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören, hat der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. Das Verbot der Einleitung oder Fortsetzung von Untersuchungen kann der Kaiser nur mit Zustimmung des Reichstages erlassen.
[2] Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurtheilten Reichsministers kann der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung nur dann ausüben, wenn dasjenige Haus, von welchem die Anklage ausgegangen ist, darauf anträgt. Zu Gunsten von Landesministern steht im ein solches Recht nicht zu.
Dem Kaiser liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob.
Der Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht.
Ueberhaupt hat der Kaiser die Regierungsgewalt in allen Angelegenheiten des Reiches nach Maaßgabe der Reichsverfassung. Ihm als Träger dieser Gewalt stehen diejenigen Rechte und Befugnisse zu, welche in der Reichsverfassung der Reichsgewalt beigelegt und dem Reichstage nicht zugewiesen sind.
Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem Volkshaus.
Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretern der deutschen Staaten.
Die Zahl der Mitglieder vertheilt sich nach folgendem Verhältniß:
Preußen .................................................... | 40 Mitglieder. |
Oesterreich ............................................... | 38 " |
Bayern ...................................................... | 18 " |
Sachsen ................................................... | 10 " |
Hannover .................................................. | 10 " |
Würtemberg ............................................... | 10 " |
Baden ....................................................... | 9 " |
Kurhessen ................................................. | 6 " |
Großherzogthum Hessen ............................... | 6 " |
Holstein (-Schleswig, s. Reich §. 1) ................. | 6 " |
Mecklenburg-Schwerin ................................. | 4 " |
Luxemburg-Limburg ..................................... | 3 " |
Nassau ..................................................... | 3 " |
Braunschweig ............................................. | 2 " |
Oldenburg ................................................. | 2 " |
Sachsen-Weimar ........................................ | 2 " |
Sachsen-Coburg-Gotha ................................ | 1 " |
Sachsen-Meiningen-Hildburghausen ................ | 1 " |
Sachsen-Altenburg ..................................... | 1 " |
Mecklenburg-Strelitz ................................... | 1 " |
Anhalt-Dessau ........................................... | 1 " |
Anhalt-Bernburg ......................................... | 1 " |
Anhalt-Köthen ............................................ | 1 " |
Schwarzburg-Sondershausen ........................ | 1 " |
Schwarzburg-Rudolstadt .............................. | 1 " |
Hohenzollern-Hechingen ............................... | 1 " |
Liechtenstein ............................................. | 1 " |
Hohenzollern-Sigmaringen ............................. | 1 " |
Waldeck .................................................... | 1 " |
Reuß ältere Linie ......................................... | 1 " |
Reuß jüngere Linie ....................................... | 1 " |
Schaumburg-Lippe ...................................... | 1 " |
Lippe-Detmold ............................................ | 1 " |
Hessen-Homburg ........................................ | 1 " |
Lauenburg ................................................. | 1 " |
Lübeck ..................................................... | 1 " |
Frankfurt ................................................... | 1 " |
Bremen ..................................................... | 1 " |
Hamburg ................................................... | 1 " |
______________ | |
192 Mitglieder. | |
So lange die deutsch-österreichischen Lande an dem Bundesstaate nicht Theil nehmen, erhalten nachfolgende Staaten eine größere Anzahl von Stimmen im Staatenhause, nämlich |
|
Bayern ...................................................... | 20 |
Sachsen ................................................... | 12 |
Hannover .................................................. | 12 |
Würtemberg ............................................... | 12 |
Baden ....................................................... | 10 |
Großherzogthum Hessen ............................... | 8 |
Kurhessen ................................................. | 7 |
Nassau ..................................................... | 4 |
Hamburg ................................................... | 2 |
[1] Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Hälfte durch die Regierungen und zur Hälfte durch die Volksvertretungen der betreffenden Staaten ernannt.
[2] In denjenigen deutschen Staaten, welche aus mehreren Provinzen oder Ländern mit abgesonderter Verfassung oder Verwaltung bestehen, sind die durch die Volksvertretungen dieses Staates zu ernennenden Mitglieder des Staatenhauses nicht von der allgemeinen Landesvertretung, sondern von den Vertretungen der einzelnen Länder oder Provinzen (Provinzialständen) zu ernennen.
[3] Das Verhältniß, nach welchem die Zahl der diesen Staaten zukommenden Mitglieder unter die einzelnen Länder oder Provinzen zu vertheilen ist, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
[4] Wo zwei Kammern bestehen und eine Vertretung nach Provinzen nicht Statt findet, wählen beide Kammern in gemeinsamer Sitzung nach absoluter Stimmenmehrheit.
[1] In denjenigen Staaten, welche nur Ein Mitglied in das Staatenhaus senden, schlägt die Regierung drei Candidaten vor, aus denen die Volksvertretung mit absoluter Stimmenmehrheit wählt.
[2] Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungerade Zahl von Mitgliedern senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren.
Wenn mehrere deutsche Staaten zu einem Ganzen verbunden werden, so entscheidet ein Reichsgesetz über die dadurch etwa nothwendig werdende Abänderung in der Zusammensetzung des Staatenhauses.
Mitglied des Staatenhauses kann nur sein, wer |
|
[1] Die Mitglieder des Staatenhauses werden auf sechs Jahre gewählt. Sie werden alle drei Jahre zur Hälfte erneuert.
[2] Auf welche Weise nach den ersten drei Jahren das Ausscheiden der einen Hälfte Statt finden soll, wird durch ein Reichsgesetz bestimmt. Die Ausscheidenden sind stets wieder wählbar.
[3] Wird nach Ablauf dieser drei Jahre und vor Vollendung der neuen Wahlen für das Staatenhaus ein außerordentlicher Reichstag berufen, so treten, so weit die neuen Wahlen noch nicht stattgefunden haben, die früheren Mitglieder ein.
Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des deutschen Volkes.
[1] Die Mitglieder des Volkshauses werden für das erste Mal auf vier Jahre, demnächst immer auf drei Jahre gewählt.
[2] Die Wahl geschieht nach den in dem Reichswahlgesetze enthaltenen Vorschriften.
Die Mitglieder des Reichstages beziehen aus der Reichskasse ein gleichmäßiges Taschengeld und Entschädigung für ihre Reisekosten. Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
Die Mitglieder beider Häuser können durch Instruktionen nicht gebunden werden.
Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Häuser sein.
[1] Zu einem Beschluß eines jeden Hauses des Reichstages ist die Teilnahme von wenigstens der Hälfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und die einfache Stimmenmehrheit erforderlich.
[2] In Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet.
Das Recht des Gesetzvorschlags, der Beschwerde, der Adresse und der Erhebung von Thatsachen, sowie der Anklage der Minister steht jedem Hause zu.
Ein Reichstagsbeschluß kann nur durch die Uebereinstimmung beider Häuser gültig zu Stande kommen.
[1] Ein Reichstagsbeschluß, welcher die Zustimmung der Reichsregierung nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt werden.
[2] Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe Beschluß unverändert gefaßt worden, so wird derselbe, auch wenn die Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt, mit dem Schlusse des dritten Reichstages zum Gesetz. Eine ordentliche Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier Wochen dauert, wird in dieser Reihenfolge nicht mitgezählt.
§. 102.
Ein Reichstagsbeschluß ist in folgenden Fällen erforderlich: |
|
Bei Feststellung des Reichshaushaltes treten folgende Bestimmungen ein: |
|
[1] Der Reichstag versammelt sich jedes Jahr am Sitze der Reichsregierung. Die Zeit der Zusammenkunft wird vom Reichsoberhaupt bei der Einberufung angegeben, insofern nicht ein Reichsgesetz dieselbe festsetzt.
[2] Außerdem kann der Reichstag zu außerordentlichen Sitzungen jederzeit vom Reichsoberhaupt einberufen werden.
Die ordentlichen Sitzungsperioden der Landtage in den Einzelstaaten sollen mit denen des Reichstages in der Regel nicht zusammenfallen. Das Nähere bleibt einem Reichsgesetz vorbehalten.
[1] Das Volkshaus kann durch das Staatsoberhaupt aufgelöst werden.
[2] In dem Falle der Auflösung ist der Reichstag binnen drei Monaten wieder zu versammeln.
[1] Die Auflösung des Volkshauses hat die gleichzeitige Vertagung des Staatenhauses bis zur Wiedereinberufung des Reichstages zur Folge.
[2] Die Sitzungsperioden beider Häuser sind dieselben.
Das Ende der Sitzungsperioden des Reichstages wird vom Reichsoberhaupt bestimmt.
[1] Eine Vertagung des Reichstages oder eines der beiden Häuser durch das Staatsoberhaupt bedarf, wenn sie nach Eröffnung der Sitzung auf länger als vierzehn Tage ausgesprochen werden soll, der Zustimmung des Reichstages oder des betreffenden Hauses.
[2] Auch der Reichstag selbst so wie jedes der beiden Häuser kann sich auf vierzehn Tage vertagen.
Jedes der beiden Häuser wählt seinen Präsidenten, seine Vizepräsidenten und seine Schriftführer.
Die Sitzungen beider Häuser sind öffentlich. Die Geschäftsordnung eines jeden Hauses bestimmt, unter welchen Bedingungen vertrauliche Sitzungen stattfinden können.
Jedes Haus prüft die Vollmachten seiner Mitglieder und entscheidet über die Zulassung derselben.
Jedes Mitglied leistet bei seinem Eintritt den Eid: "Ich schwöre, die deutsche Reichsverfassung getreulich zu beobachten und aufrecht zu erhalten, so wahr mir Gott helfe."
[1] Jedes Haus hat das Recht, seine Mitglieder wegen unwürdigen Verhaltens im Hause zu bestrafen und äußersten Falls auszuschließen. Das Nähere bestimmt die Geschäftsordnung jedes Hauses.
[2] Eine Ausschließung kann nur ausgesprochen werden, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen sich dafür entscheidet.
Weder Ueberbringer von Bittschriften noch überhaupt Deputationen sollen in den Häusern zugelassen werden.
Jedes Haus hat das Recht, sich seine Geschäftsordnung selbst zu geben. Die geschäftlichen Beziehungen zwischen beiden Häusern werden durch Uebereinkunft beider Häuser geordnet.
Ein Mitglied des Reichstages darf während der Dauer der Sitzungsperiode ohne Zustimmung des Hauses, zu welchem es gehört, wegen strafrechtlicher Anschuldigungen weder verhaftet, noch in Untersuchung gezogen werden, mit alleiniger Ausnahme der Ergreifung auf frischer That.
In diesem letzteren Falle ist dem betreffenden Hause von der angeordneten Maaßregel sofort Kenntniß zu geben. Es steht demselben zu, die Aufhebung der Haft oder Untersuchung bis zum Schlusse der Sitzungsperiode zu verfügen.
Dieselbe Befugniß steht jedem Hause in Betreff einer Verhaftung oder Untersuchung zu, welche über ein Mitglied desselben zur Zeit seiner Wahl verhängt gewesen, oder nach dieser bis zur Eröffnung der Sitzungen verhängt worden ist.
Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes gethanen Aeußerungen gerichtlich oder disciplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Die Reichsminister haben das Recht, den Verhandlungen beider Häuser des Reichstages beizuwohnen und jederzeit von denselben gehört zu werden.
Die Reichsminister haben die Verpflichtung, auf Verlangen jedes der Häuser des Reichstages in demselben zu erscheinen und Auskunft zu ertheilen, oder den Grund anzugeben, weshalb dieselbe nicht ertheilt werden könne.
Die Reichsminister können nicht Mitglieder des Staatenhauses sein.
Wenn ein Mitglied des Volkshauses im Reichsdienst ein Amt oder eine Beförderung annimmt, so muß es sich einer neuen Wahl unterwerfen; es behält seinen Sitz im Hause, bis die neue Wahl stattgefunden hat.
Abschnitt V. Das Reichsgericht.
Die dem Reiche zustehende Gerichtsbarkeit wird durch ein Reichsgericht ausgeübt.
Zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören: | |
a) Klagen der Einzelstaaten gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der Reichsverfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen und durch Maaßregeln der Reichsregierung, sowie Klagen der Reichsgewalt gegen einen Einzelstaat wegen Verletzung der Reichsverfassung. b) Streitigkeiten zwischen dem Staatenhause und dem Volkshause unter sich und zwischen jedem von ihnen und der Reichsregierung, welche die Auslegung der Reichsverfassung betreffen, wenn die streitenden Theile sich vereinigen, die Entscheidung des Reichsgerichts einzuholen. c) Politische und privatrechtliche Streitigkeiten aller Art zwischen den einzelnen deutschen Staaten. d) Streitigkeiten über Thronfolge, Regierungsfähigkeit und Regentschaft in den Einzelstaaten. e) Streitigkeiten zwischen der Regierung eines Einzelstaates und dessen Volksvertretung über die Gültigkeit oder Auslegung der Landesverfassung. f) Klagen der Angehörigen eines Einzelstaates gegen die Regierung wegen Verletzung der Landesverfassung können bei dem Reichsgericht nur angebracht werden, wenn die in der Landesverfassung gegebenen Mittel der Abhülfe nicht zur Anwendung gebracht werden können. g) Klagen deutscher Staatsbürger wegen Verletzung der durch die Reichsverfassung ihnen gewährten Rechte. Die näheren Bestimmungen über den Umfang ihres Klagerechts und die Art und Weise, dasselbe geltend zu machen, bleiben der Reichsgesetzgebung vorbehalten. h) Beschwerden wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege, wenn die landesgesetzlichen Mittel der Abhülfe erschöpft sind. i) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Reichsminister, insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen. k) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Minister der Einzelstaaten, insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen. l) Strafgerichtsbarkeit in den Fällen des Hoch- und Landesverraths gegen das Reich. Ob noch andere Verbrechen gegen das Reich der Strafgerichtsbarkeit des Reichsgerichts zu überweisen sind, wird späteren Reichsgesetzen vorbehalten. m) Klagen gegen den Reichsfiscus. n) Klagen gegen deutsche Staaten, wenn die Verpflichtung, dem Anspruche Genüge zu leisten, zwischen mehreren Staaten zweifelhaft oder bestritten ist, so wie wenn die gemeinschaftliche Verpflichtung gegen mehrere Staaten in einer Klage geltend gemacht wird. |
Ueber die Frage, ob ein Fall zur Entscheidung des Reichsgerichts geeignet sei, erkennt einzig und allein das Reichsgericht selbst.
[1] Ueber die Einsetzung und Organisation des Reichsgerichts, über das Verfahren und die Vollziehung der reichsgerichtlichen Entscheidungen und Verfügungen wird ein besonderes Gesetz ergehen.
[2] Diesem Gesetze wird auch die Bestimmung, ob und in welchen Fällen bei dem Reichsgericht die Urtheilsfällung durch Geschworene erfolgen soll, vorbehalten.
[3] Ebenso bleibt vorbehalten: ob und wie weit dieses Gesetz als organisches Verfassungsgesetz zu betrachten ist.
Der Reichsgesetzgebung bleibt es vorbehalten, Admiralitäts- und Seegerichte zu errichten, so wie die Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit der Gesandten und Consuln des Reiches zu treffen.
Abschnitt VI. Die Grundrechte des deutschen Volkes.
Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können.
Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das deutsche Reich bilden.
Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbürgerrecht. Die ihm Kraft dessen zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben. Ueber das Recht, zur deutschen Reichsversammlung zu wählen, verfügt das Reichswahlgesetz.
[1] Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Liegenschaften jeder Art zu erwerben und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben, das Gemeindebürgerrecht zu gewinnen.
[2] Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimathsgesetz, jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung für ganz Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.
Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehörigen und andern Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Proceß-Rechte machen, welcher die letzteren als Ausländer zurücksetzt.
Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da, wo sie bereits ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhören, soweit nicht hierdurch erworbene Privatrechte verletzt werden.
[1] Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschränkt; Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
[2] Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge des Reiches.
[1] Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben.
[2] Alle Standesvorrechte sind abgeschafft.
[3] Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
[4] Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden.
[5] Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staate einen Orden annehmen.
[6] Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.
[7] Die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei derselben findet nicht Statt.
[1] Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
[2] Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf frischer That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Verhafteten zugestellt werden.
[3] Die Polizeibehörde muß Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im Laufe des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen Behörde übergeben.
[4] Jeder Angeschuldigte soll gegen Stellung einer vom Gerichte zu bestimmenden Caution oder Bürgschaft der Haft entlassen werden, sofern nicht dringende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens gegen denselben vorliegen.
[5] Im Falle einer widerrechtlich verfügten oder verlängerten Gefangenschaft ist der Schuldige und nöthigenfalls der Staat dem Verletzten zur Genugthuung und Entschädigung verpflichtet.
[6] Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser Bestimmungen werden besonderen Gesetzen vorbehalten.
Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder das Seerecht im Fall von Meuterei sie zuläßt, so wie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind abgeschafft.
[1] Die Wohnung ist unverletzlich. [2] Eine Haussuchung ist nur zulässig: |
|
[3] Die Haussuchung muß, wenn thunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen erfolgen. [4] Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hinderniß der Verhaftung eines gerichtlich Verfolgten. |
Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten zugestellt werden soll.
[1] Das Briefgeheimniß ist gewährleistet.
[2] Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.
[1] Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
[2] Die Preßfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch vorbeugende Maaßregeln, namentlich Censur, Concessionen, Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien Verkehrs beschränkt, suspendirt oder aufgehoben werden.
[3] Ueber Preßvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch Schwurgerichte geurtheilt.
[4] Ein Preßgesetz wird vom Reiche erlassen werden.
[1] Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit.
[2] Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Ueberzeugung zu offenbaren.
[1] Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und öffentlichen Uebung seiner Religion.
[2] Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen.
Durch das religiöse Bekenntniß wird der Genuß der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.
[1] Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
[2] Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche.
[3] Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; eine Anerkennung ihres Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht.
Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden.
Die Formel des Eides soll künftig lauten: "So wahr mir Gott helfe."
[1] Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des Civilactes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach Vollziehung des Civilactes Staat finden.
[2] Die Religionsverschiedenheiten ist kein bürgerliches Ehehinderniß.
Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden geführt.
Die Wissenschaft und Lehre ist frei.
Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht des Staats, und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben.
[1] Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, zu leiten und an solchen Unterricht zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er seine Befähigung der betreffenden Staatsbehörde nachgewiesen hat.
[2] Der häusliche Unterricht unterliegt keiner Beschränkung.
[1] Für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche Schulen überall genügend gesorgt werden.
[2] Eltern oder deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die unteren Volksschulen vorgeschrieben ist.
[1] Die öffentlichen Lehrer haben das Recht der Staatsdiener.
[2] Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden aus der Zahl der Geprüften die Lehrer der Volksschulen an.
[1] Für den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird kein Schulgeld bezahlt.
[2] Unbemittelten soll auf allen öffentlichen Unterrichtsanstalten freier Unterricht gewährt werden.
Es steht einem Jeden frei, seinen Beruf zu wählen und sich für denselben auszubilden, wie und wo er will.
[1] Jeder Deutsche hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden schriftlich an die Behörden, an die Volksvertretungen und an den Reichstag zu wenden.
[2] Dieses Recht kann sowohl von Einzelnen als von Corporationen und von Mehreren im Vereine ausgeübt werden; beim Heer und der Kriegsflotte jedoch nur in der Weise, wie es die Disciplinarvorschriften bestimmen.
Eine vorgängige Genehmigung der Behörden ist nicht nothwendig, um öffentliche Beamte wegen ihrer amtlichen Handlungen gerichtlich zu verfolgen.
[1] Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln; eine besondere Erlaubniß dazu bedarf es nicht.
[2] Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.
Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll durch keine vorbeugende Maaßregeln beschränkt werden.
Die in den §§. 161 und 162 enthaltenen Bestimmungen finden auf das Heer und die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die militärischen Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen.
[1] Das Eigenthum ist unverletzlich.
[2] Eine Enteignung kann nur aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf Grund eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen werden.
[3] Das geistige Eigenthum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt werden.
[1] Jeder Grundeigenthümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von Todes wegen ganz oder theilweise veräußern. Den Einzelstaaten bleibt überlassen, die Durchführung des Grundsatzes der Theilbarkeit alles Grundeigenthums durch Uebergangsgesetze zu vermitteln.
[2] Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus Gründen des öffentlichen Wohls zulässig.
Jeder Unterthänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf.
[1] Ohne Entschädigung wird aufgehoben: |
|
[2] Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg, welche dem bisher Berechtigten dafür oblagen. |
[1] Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen, insbesondere die Zehnten, sind ablösbar; ob nur auf Antrag des Belasteten oder auch des Berechtigten, und in welcher Weise, bleibt der Gesetzgebung der einzelnen Staaten überlassen.
[2] Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren Abgabe oder Leistung belastet werden.
[1] Im Grundeigenthum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eigenem Grund und Boden.
[2] Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden, Jagddienste, Jagdfrohnden und andere Leistungen für Jagdzwecke sind ohne Entschädigung aufgehoben.
[3] Nur ablösbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch einen lästigen mit dem Eigenthümer des belasteten Grundstückes abgeschlossenen Vertrag erworben ist; über die Art und Weise der Ablösung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere zu bestimmen.
[4] Die Ausübung des Jagdrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und des gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
[5] Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden darf in Zukunft nicht wieder als Grundgerechtigkeit bestellt werden.
[1] Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.
[2] Ueber die Familienfideicommisse der regierenden fürstlichen Häuser bleiben die Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.
Aller Lehensverband ist auszuheben. Das Nähere über die Art und Weise der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.
Die Strafe der Vermögenseinziehung soll nicht stattfinden.
Die Besteuerung soll so geordnet werden, daß die Bevorzugung einzelner Stände und Güter in Staat und Gemeinde aufhört.
Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. Es sollen keine Patrimonialgerichte bestehen.
[1] Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten geübt. Cabinets- und Minsterialjustiz ist unstatthaft.
[2] Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte sollen nie stattfinden.
[1] Es soll keinen privilegirten Gerichtsstand der Personen oder Güter geben.
[2] Die Militärgerichtsbarkeit ist auf die Aburtheilung militärischer Verbrechen und Vergehen, so wie der Militär-Disciplinarvergehen beschränkt, vorbehaltlich der Bestimmungen für den Kriegszustand.
[1] Kein Richter darf, außer durch Urtheil und Recht, von seinem Amt entfernt, oder in Rang und Gehalt beeinträchtigt werden.
[2] Suspension darf nicht ohne gerichtlichen Beschluß erfolgen.
[3] Kein Richter darf wider seinen Willen, außer durch gerichtlichen Beschluß in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen, zu einer anderen Stelle versetzt oder in Ruhestand gesetzt werden.
[1] Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
[2] Ausnahmen von der Oeffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit das Gesetz.
[1] In Strafsachen gilt der Anklageprozeß.
[2] Schwurgerichte sollen jedenfalls in schweren Strafsachen und bei allen politischen Vergehen urtheilen.
Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung durch sachkundige, von den Berufsgenossen frei gewählten Richter geübt oder mitgeübt werden.
[1] Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig sein.
[2] Ueber Competenzconflicte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden in den Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender Gerichtshof.
[1] Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen entscheiden die Gerichte.
[2] Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.
[1] Rechtskräftige Urtheile deutscher Gerichte sind in allen deutschen Ländern gleich wirksam und vollziehbar.
[2] Ein Reichsgesetz wird das Nähere bestimmen.
Jede Gemeinde hat als Grundrechte ihrer Verfassung: | |
a) die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter; b) die selbstständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit Einschluß der Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des Staates; c) die Veröffentlichung ihres Gemeindehaushaltes; d) Oeffentlichkeit der Verhandlungen als Regel. |
[1] Jedes Grundstück soll einem Gemeindeverband angehören.
[2] Beschränkungen wegen Waldungen und Wüsteneien bleiben der Landesgesetzgebung vorbehalten.
[1] Jeder deutsche Staat soll eine Verfassung mit Volksvertretung haben.
[2] Die Minister sind der Volksvertretung verantwortlich.
[1] Die Volksvertretung hat eine entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung, bei der Besteuerung, bei der Ordnung des Staatshaushaltes; auch hat sie - wo zwei Kammern vorhanden sind, jede Kammer für sich - das Recht des Gesetzvorschlags, der Beschwerde, der Adresse, so wie der Anklage der Minister.
[2] Die Sitzungen der Landtage sind in der Regel öffentlich.
Den nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre volkthümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die Gleichberechtigung ihrer Sprachen, so weit deren Gebiete reichen, in dem Kirchenwesen, dem Unterrichte, der innern Verwaltung und der Rechtspflege.
Jeder deutsche Staatsbürger in der Fremde steht unter dem Schutze des Reiches.
Abschnitt VII. Die Gewähr der Verfassung.
[1] Bei jedem Regierungswechsel tritt der Reichstag, falls er nicht schon versammelt ist, ohne Berufung zusammen, in der Art, wie er das letzte Mal zusammengesetzt war. Der Kaiser, welcher die Regierung antritt, leistet vor den zu einer Sitzung vereinigten Häusern des Reichstages einen Eid auf die Reichsverfassung.
[2] Der Eid lautet: "Ich schwöre, das Reich und die Rechte des deutschen Volkes zu schirmen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhalten und sie gewissenhaft zu vollziehen. So wahr mit Gott helfe."
[3] Erst nach geleistetem Eid ist der Kaiser berechtigt, Regierungshandlungen vorzunehmen.
Die Reichsbeamten haben beim Antritt ihres Amtes einen Eid auf die Reichsverfassung zu leisten. Das Nähere bestimmt die Dienstpragmatik des Reiches.
Ueber die Verantwortlichkeit der Reichsminister soll ein Reichsgesetz erlassen werden.
Die Verpflichtung auf die Reichsverfassung wird in den Einzelstaaten mit der Verpflichtung auf die Landesverfassung verbunden und dieser vorangesetzt.
Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines Einzelstaates darf mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen.
Eine Aenderung der Regierungsform in einem Einzelstaate kann nur mit Zustimmung der Reichsgewalt erfolgen. Diese Zustimmung muß in den für Aenderungen der Reichsverfassung vorgeschriebenen Form gegeben werden.
[1] Abänderungen in der Reichsverfassung können durch einen Beschluß beider Häuser und mit Zustimmung des Reichsoberhaupts erfolgen. |
|
[3] Der Zustimmung des Reichsoberhaupts bedarf es nicht, wenn in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe Reichstagsbeschluß unverändert gefaßt worden. Eine ordentliche Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier Wochen dauert, wird in dieser Reihenfolge nicht mitgezählt. |