Verfassungsentwurf 1990 DDR
Entwurf
Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik
Arbeitsgruppe "Neue Verfassung der DDR" des Runden Tisches
Berlin, April 1990
Der Verfassungsentwurf wurde im Auftrag des Zentralen Runden Tisches von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern aller am Runden Tisch mitwirkenden Parteien und politischen Bewegungen unter Einbeziehung von Verfassungsexperten geschaffen.
Inhalt
Präambel
I. Kapitel
Art. 1-40 Menschen- und Bürgerrechte . . . . . . . . . . . . . . . . [S.]
10
1. Abschnitt
Art. 1-25 Würde, Gleichheit, Freiheit, Solidarität . . . . . . . . .
10
2. Abschnitt
Art. 26-33 Arbeit, Wirtschaft, Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . .
20
3. Abschnitt
Art. 34 Rechte der Sorben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
4. Abschnitt
Art. 35-39 Gesellschaftliche Gruppen und Verbände . . . . . . .
24
5. Abschnitt
Art. 40 Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
II. Kapitel
Art. 41-88 Grundsätze und Organe des Staates . . . . . . . . . .
29
1. Abschnitt
Art. 41-45 Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
2. Abschnitt
Art. 46 Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
3. Abschnitt
Art. 47-50 Der Bund, die Länder und die Kommunal-
autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
4. Abschnitt
Art. 51-65 Die Volkskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
5. Abschnitt
Art. 66-68 Die Länderkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
6. Abschnitt
Art. 69-77 Die Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
7. Abschnitt
Art. 78-88 Der Präsident der Republik . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
III. Kapitel
Art. 89-113 Funktionen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
1. Abschnitt
Art. 89-100 Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
2. Abschnitt
Art. 101-106 Die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53
3. Abschnitt
Art. 107-113 Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
IV. Kapitel
Art. 114-126 Die Staatsfinanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
V. Kapitel
Art. 127-136 Übergangs- und Schlußbestimmungen
66
[...]
Entwurf
Verfassung
der
Deutschen Demokratischen Republik
Präambel
Ausgehend von den humanistischen Traditionen, zu welchen die besten Frauen und Männer aller Schichten unseres Volkes beigetragen haben,
eingedenk der Verantwortung aller Deutschen für ihre Geschichte und deren Folgen,
gewillt, als friedliche, gleichberechtigte Partner in der Gemeinschaft der Völker zu leben, am Einigungsprozeß Europas beteiligt, in dessen Verlauf auch das deutsche Volk seine staatliche Einheit schaffen wird,
überzeugt, daß die Möglichkeit zu selbstbestimmtem verantwortlichen Handeln höchste Freiheit ist,
gründend auf der revolutionären Erneuerung,
entschlossen, ein demokratisches und solidarisches Gemeinwesen zu entwickeln, das
Würde und Freiheit des einzelnen sichert,
gleiches Recht für alle gewährleistet,
die Gleichstellung der Geschlechter verbürgt
und unsere natürliche Umwelt schützt,
geben sich die Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik diese Verfassung.
I. Kapitel
Menschen- und Bürgerrechte
1. Abschnitt
Würde, Gleichheit, Freiheit, Solidarität
Artikel 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die oberste Pflicht des Staates.
(2) Jeder schuldet jedem die Anerkennung als Gleicher. Niemand darf wegen seiner Rasse, Abstammung, Nationalität, Sprache, seines Geschlechts, seiner sexuellen Orientierung, seiner sozialen Stellung, seines Alters, seiner Behinderung, seiner religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung benachteiligt werden.
Artikel 2
Vor der öffentlichen Gewalt sind alle Menschen gleich. Jede Willkür und jede sachwidrige Ungleichbehandlung ist untersagt.
Artikel 3
(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.
(2) Der Staat ist verpflichtet, auf die Gleichstellung der Frau in Beruf und öffentlichem Leben, in Bildung und Ausbildung, in der Familie sowie im Bereich der sozialen Sicherung hinzuwirken.
Artikel 4
(1) Jeder hat das Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Achtung seiner Würde im Sterben. In das Recht auf körperliche Unversehrtheit darf nur durch Gesetz eingegriffen werden.
(2) Niemand darf grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und ohne seine freiwillige und ausdrückliche Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Experimenten unterworfen werden.
(3) Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen.
Artikel 5
Die allgemeine Handlungsfreiheit ist unter dem Vorbehalt des Gesetzes gewährleistet.
Artikel 6
(1) Das Recht auf Freizügigkeit, Ein- und Ausreise steht jedem Bürger und jedem Ausländer und Staatenlosen mit ständigem Wohnsitz zu.
(2) Diese Rechte können zur Bekämpfung von Seuchen und Katastrophen durch Gesetz beschränkt werden. Zur Vermeidung besonderer Belastungen der Allgemeinheit bei der Sicherung einer ausreichenden Lebensgrundlage kann das Recht auf Freizügigkeit, zur Sicherung der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und Durchsetzung rechtlicher Verpflichtungen kann das Recht auf Ein- und Ausreise durch Gesetz beschränkt werden.
Artikel 7
(1) Keinem Bürger darf die Staatsbürgerschaft entzogen, noch darf er ausgewiesen oder ausgeliefert werden.
(2) Ausländer dürfen in kein Land ausgeliefert oder ausgewiesen werden, in dem ihnen die Beeinträchtigung ihrer Menschenwürde oder die Todesstrafe droht.
(3) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
Artikel 8
(1) Jeder hat Anspruch auf Achtung und Schutz seiner Persönlichkeit und Privatheit.
(2) Jeder hat das Recht an seinen persönlichen Daten und auf Einsicht in ihn betreffende Akten und Dateien. Ohne freiwillige und ausdrückliche Zustimmung des Berechtigten dürfen persönliche Daten nicht erhoben, gespeichert, verwendet, verarbeitet oder weitergegeben werden. Beschränkungen dieses Rechts bedürfen des Gesetzes und müssen dem Berechtigten zur Kenntnis gebracht werden.
Artikel 9
(1) Die Wohnung ist unverletzlich.
(2) Durchsuchungen können nur durch Gesetz zugelassen werden. Sie dürfen nur durch den Richter angeordnet werden. Das Gesetz kann vorsehen, daß sie beim Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr und im Falle einer Verfolgung auf frischer Tat auch von anderen Amtsträgern angeordnet und durchgeführt werden können; sie unterliegen richterlicher Bestätigung.
(3) Das Betreten der Wohnung ohne die Einwilligung des Inhabers ist nur zum Zwecke der Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Gefahr für Leib und Leben einzelner Personen aufgrund Gesetzes zulässig.
(4) Die Befugnis zum Betreten und zur Besichtigung von ausschließlich betrieblich und geschäftlich genutzten Räumlichkeiten zur Vornahme von Amtshandlungen ohne die Einwilligung des Inhabers bedarf einer Ermächtigung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes.
Artikel 10
(1) Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ist unverletzlich.
(2) Eingriffe sind nur durch Gesetz nach richterlicher Anordnung und nur zum Zwecke der Bekämpfung schwerer, organisierter Kriminalität zulässig.
Artikel 11
(1) Die Freiheit des Gewissens ist gewährleistet.
(2) Widerstreitet das Gewissen staatsbürgerlichen oder bürgerlichen Pflichten, so muß der Bürger, wenn er diese Pflichten nicht erfüllen will, andere Leistungen anbieten und der Staat andere, gleichbelastende Pflichten eröffnen.
Artikel 12
(1) Jeder hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit seiner Person, Freiheitsbeschränkungen dürfen nur insoweit erfolgen, als sie gesetzlich vorgesehen und unumgänglich sind.
(2) Jeder, dessen Freiheit eingeschränkt wird, muß unverzüglich über die Gründe der Freiheitsbeschränkung unterrichtet werden. Personen, denen die Freiheit entzogen wird, müssen unverzüglich, spätestens aber innerhalb von 24 Stunden, einem Richter vorgeführt werden. Der Richter entscheidet über die durch Gesetz zugelassene Freiheitsentziehung in einer mit Gründen versehenen schriftlichen Form oder ordnet die Freilassung an. Der Betroffene kann in angemessenen Abständen eine richterliche Überprüfung der Fortdauer der Freiheitsentziehung verlangen. Über eine Freiheitsentziehung und vor jeder richterlichen Entscheidung über deren Anordnung oder Fortdauer ist eine Person des Vertrauens des Betroffenen, bei Jugendlichen auch der Erziehungsberechtigte, zu benachrichtigen. Dem Betroffenen ist Gelegenheit zu geben, mit einem Rechtsbeistand seiner Wahl Verbindung aufzunehmen.
(3) Festgehaltene Personen dürfen weder körperlich noch seelisch mißhandelt und keinen Schikanen ausgesetzt werden.
(4) Freiheitsstrafe und Strafvollzug sollen vornehmlich der gesellschaftlichen Wiedereingliederung dienen. Im Strafvollzug ist die Auferlegung von Arbeitspflichten zulässig.
(5) Die Todesstrafe und die lebenslange Freiheitsstrafe sind abgeschafft.
(6) Jede Person, deren Freiheit unrechtmäßig eingeschränkt worden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz.
Artikel 13
(1) Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Jeder hat Anspruch auf ein faires, zügiges und öffentliches Verfahren. Die Öffentlichkeit darf nur nach Maßgabe des Gesetzes durch Gerichtsbeschluß ausgeschlossen werden.
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit wird durch Gesetz bestimmt. Strafgesetze haben keine rückwirkende Kraft. Jeder gilt bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung als nicht schuldig.
(3) Niemand darf für dieselbe Handlung mehrfach strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Jeder Verurteilte hat einen Rechtsanspruch darauf, daß das gegen ihn ausgesprochene Urteil durch ein höheres Gericht überprüft wird.
(4) Im Verfahren der strafrechtlichen Verfolgung hat jeder einen Rechtsanspruch auf folgende Garantien, über die er in geeigneter Weise zu belehren ist:
1) Er muß unverzüglich in einer Sprache, die er versteht, über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden.
2) Ihm ist Gelegenheit zu geben, bei der gerichtlichen Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst oder durch einen Verteidiger seiner Wahl zu verteidigen. Es muß ihm, wenn die Sache es verlangt, ein Verteidiger zugewiesen werden; bei Bedürftigkeit geschieht das unentgeltlich. Eine angemessene Vorbereitung der Verteidigung ist zu gewährleisten.
3) Er kann unter den gleichen Bedingungen wie die Anklage das Erscheinen von Sachverständigen und Zeugen sowie die Vorlage von Beweismitteln verlangen und Zeugen und Sachverständige befragen.
Artikel 14
(1) Niemand darf verpflichtet werden, andere Personen wegen begangener oder drohender Straftaten anzuzeigen. Für drohende schwere Straftaten kann das Gesetz Ausnahmen vorsehen.
(2) Niemand darf gezwungen werden, gegen sich selbst oder durch Gesetz bestimmte nahestehende Personen auszusagen.
(3) Für die Angehörigen von Heilberufen, rechtsberatender Berufe, sozialer Dienste sowie für Seelsorger ist durch Gesetz ein Zeugnisverweigerungsrecht vorzusehen. In die hierdurch geschützte Vertraulichkeit von Informationen darf in keiner Weise eingegriffen werden.
Artikel 15
(1) Jeder hat das Recht, Informationen und Meinungen in jeder Form frei zu bekunden und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen und anderen, vechtmäßig erschließbaren Quellen zu unterrichten. Die Geltung dieser Rechte in Dienst- und Arbeitsverhältnissen darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden.
(2) Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und anderer Massenmedien ist gewährleistet. Das Gesetz hat durch Verfahrensregelungen sicherzustellen, daß die Vielfalt der in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen in Presse, Hörfunk und Fernsehen zum Ausdruck kommen kann.
(3) Diese Rechte finden ihre Schranken in Gesetzen die die Freiheit der Meinung und der Unterrichtung nicht wegen deren geistigen Inhalts oder geistiger Wirkung beschränken dürfen. Gesetzliche Einschränkungen zum Schutze der Jugend und der Ehre sind zulässig. Kriegspropaganda sowie die öffentliche Bekundung von menschenwürdeverletzender Diskriminierung sind durch Gesetz zu verbieten.
(4) Die vorhandenen Hörfunk- und Fernsehsender sind als selbständige öffentlich-rechtliche Anstalten zu errichten. Sie haben die Aufgabe, durch das Angebot eine Vielfalt von Programmen zur öffentlichen Meinungsbildung beizutragen. Ihre innere Ordnung wird durch Gesetz geregelt. Die Zulassung privater Hörfunk- und Fernsehsender darf nur durch Gesetz und nur dann erfolgen, wenn dadurch die Erfüllung der Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht beeinträchtigt wird.
(5) Rechtmäßige journalistische Tätigkeit darf durch Zeugnispflicht, Beschlagnahme und Durchsuchung nicht behindert werden.
(6) Zensur ist verboten.
Artikel 16
(1) Jeder hat das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich zu versammeln.
(2) Für Versammlungen oder Umzüge unter freiem Himmel kann dieses Recht nur aufgrund dringender Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit und nur durch Gesetz beschränkt werden.
Artikel 17
Jeder hat das Recht, Vereinigungen zu bilden, ihnen beizutreten und sich in ihnen den Vereinszwecken gemäß zu betätigen.
Artikel 18
(1) Jeder hat das Recht, sich zu einer Religion oder Weltanschauung zu bekennen und sie allein oder mit anderen öffentlich oder privat zu bekunden. Dem Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen ist stattzugeben. Es darf keinerlei Zwang auf die Freiheit der Wahl oder Ausübung einer Religion$oder Weltanschauung stattfinden.
(2) Die Erziehungsberechtigten sind frei, die religiöse und weltanschauliche Bildung ihrer Kinder entsprechend ihren Überzeugungen zu gewährleisten.
Artikel 19
(1) Die Wissenschaft ist frei. Der Staat sichert die Ausübung der Freiheit von Forschung und Lehre.
(2) Durch Gesetz kann die Zulässigkeit von Mitteln oder Methoden der Forschung beschränkt werden. Es kann Informationspflichten in bezug auf besonders risikobehaftete Forschungen vorsehen.
(3) Die staatlich geförderten Universitäten pflegen die Wissenschaften in Forschung, Lehre und Ausbildung. Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und verfügen im Rahmen des Gesetzes in allen akademischen Angelegenheiten über das Recht der Selbstverwaltung.
(4) Die geistige Arbeit, das Recht der Urheber und der Erfinder genießen den Schutz des Staates.
Artikel 20
(1) Die Kunst ist frei.
(2) Das kulturelle Leben sowie die Bewahrung und Vermittlung des kulturellen Erbes werden gefördert. In den Haushalten des Bundes, der Länder und der Träger der Kommunalautonomie sind die dafür erforderlichen Mittel vorzusehen.
Artikel 21
(1) Jeder Bürger hat das gleiche Recht auf politische Mitgestaltung. Die Verfassung und die Gesetze gestalten aus, wie das Recht unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter ausgeübt wird.
(2) Jeder Bürger hat mit vollendetem 18.Lebensjahr das Recht, an allgemeinen, gleichen, freien, geheimen und direkten Wahlen zur Volkskammer, zu den Landtagen und den Kommunalvertretungen teilzunehmen und in sie gewählt zu werden. Ausländer und Staatenlose mit ständigem Wohnsitz haben Wahlrecht auf kommunaler Ebene.
(3) Jeder Bürger hat den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern. Das gleiche Recht steht für die kommunale Ebene den in Absatz 2 Satz 2 genannten Personen zu. Die Rechtsstellung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die hoheitliche Befugnisse ausüben (Beamte), ist gemäß den Funktionsanforderungen einer bürgernahen Verwaltung durch Gesetz zu regeln.
(4) Jeder, dessen Rechte und Belange durch die öffentliche Planung von Vorhaben, insbesondere von Verkehrswegen und -anlagen, Energieanlagen, Produktionsstätten und Großbauten betroffen werden, hat das Recht auf Verfahrensbeteiligung. Dasselbe Recht haben Zusammenschlüsse von Betroffenen.
(5) Jeder hat das Recht, sich einzeln und in Gemeinschaft mit anderen mit Anregung, Kritik und Beschwerde an jede staatliche Stelle zu wenden. Es besteht Anspruch auf Gehör und begründeten Bescheid in angemessener Frist.
Artikel 22
(1) Die Familie ist durch den Staat zu schützen und zu fördern.
(2) Andere Lebensgemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind, haben Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung.
(3) Eltern haben das Recht und die Pflicht zur Erziehung ihrer Kinder. Wer Kinder erzieht, hat Anspruch auf angemessene staatliche Hilfen und gesellschaftliche Rücksichtnahme. Der Staat fördert die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit und der beruflichen Bildung Erziehender, insbesondere durch Arbeitszeitregelungen.
(4) Kindern ist durch Gesetz eine Rechtsstellung einzuräumen, die ihrer wachsenden Einsichtsfähigkeit durch die Anerkennung zunehmender Selbständigkeit gerecht wird.
(5) Kinder genießen staatlichen Schutz vor körperlicher und seelischer Vernachlässigung und Mißhandlung. Kinderarbeit ist verboten.
Artikel 23
(1) Das Gemeinwesen achtet das Alter. Es respektiert Behinderung.
(2) Jeder Bürger hat das Recht auf soziale Sicherung gegen die Folgen von Krankheit, Unfall, Invalidität, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Alter und Arbeitslosigkeit.
(3) Das Recht wird durch öffentlich-rechtliche Versicherungssysteme gewährleistet, an denen teilzunehmen jeder berechtigt und verpflichtet ist. Bestandteile der Versicherungssysteme sind mindestens die Arbeitslosenunterstützung und eine Altersrente für jeden.
(4) Bei besonderen Notlagen besteht ein Anspruch auf Sozialfürsorge.
(5) Soziale Sicherung und Sozialfürsorge haben das Ziel, eine gleichberechtigte, eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen. In Heimen stehen den Bewohnern Mitverantwortungs- und Mitentscheidungsrechte zu.
Artikel 24
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf gleichen, unentgeltlichen Zugang zu den öffentlichen Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. In dieses Recht kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(2) Es besteht eine mindestens zehnjährige allgemeine Schulpflicht. Die Schule hat die Fähigkeiten und Begabungen der Schüler zu fördern. Das Schulwesen muß die Offenheit und Durchlässigkeit der Bildungsgänge gewährleisten.
(3) Der Staat fördert die Einrichtung und Unterhaltung von Kinderkrippen und Kindergärten sowie Schulhorten.
(4) Für den Schulbesuch können andere als staatliche Schulen gewählt werden, die vom Gesetz festgelegten Mindestnormen entsprechen. Die Einrichtung von Privatschulen darf nicht zur Sonderung der Schüler nach den Einkommensverhältnissen der Eltern führen. Die Privatschulen haben Anspruch auf öffentliche Finanzierung, soweit dadurch der Vorrang des öffentlichen Schulwesens nicht gefährdet wird.
(5) Schüler und Studenten haben Anspruch auf staatliche Ausbildungsförderung nach Maßgabe des Gesetzes.
Artikel 25
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf angemessenen Wohnraum, Es ist ein gesetzlicher Kündigungsschutz vorzusehen. Bei der Abwägung der Interessen des Nutzers und des Eigentümers der Wohnung ist der überragenden Bedeutung der Wohnung für die Führung eines menschenwürdigen Lebens besonderes Gewicht beizumessen. Eine Räumung darf nur vollzogen werden, wenn Ersatz zur Verfügung steht.
(2) Der soziale Wohnungsbau und die Wohnungserhaltung sind staatlich zu fördern. Der Staat ist besonders zur Förderung des Baus alters- und behindertengerechten Wohnraums verpflichtet.
2. Abschnitt
Arbeit, Wirtschaft, Umwelt
Artikel 26
Jeder hat das Recht, seinen Beruf frei zu wählen und auszuüben. In diese Freiheit kann nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Artikel 27
(1) Jeder Bürger hat das Recht auf Arbeit oder Arbeitsförderung.
(2) Das Recht jedes Bürgers, über seine Arbeitskraft frei zu verfügen und seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, ist gewährleistet. Öffentliche Arbeits- und Dienstpflichten sind nur für besondere, durch Gesetz festgelegte Zwecke zulässig. Sie müssen für alle gleich sein. Frauen dürfen nur zur Abwendung aktueller Notlagen zu einer öffentlichen Dienstleistung verpflichtet werden. Die Wehrpflicht ist abgeschafft.
(3) Der Staat schützt die Arbeitskraft durch gesetzliche Regelungen über die Arbeitssicherheit, die Arbeitshygiene und die Begrenzung der Arbeitszeit. Er fördert das Recht des einzelnen, seine Arbeitskraft zur Führung eines menschenwürdigen Lebens zu verwenden. Er hat in seiner Wirtschaftspolitik dem Ziel der Vollbeschäftigung in der Regel Vorrang einzuräumen. Jeder Bürger hat im Falle von Arbeitslosigkeit oder drohender Arbeitslosigkeit ein Recht auf öffentlich finanzierte Maßnahmen der Arbeitsförderung. Dabei ist der beruflichen Weiterbildung oder Umschulung der Vorrang vor Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe einzuräumen.
(4) Für gleiche Arbeit besteht ein Anspruch auf gleichen Lohn.
(5) Lehrlinge, Schwangere, Alleinerziehende, Kranke, Werktätige mit Behinderung und ältere Werktätige genießen erweiterten Kündigungsschutz.
Artikel 28
Jeder in einem Betrieb oder Unternehmen beschäftigte Werktätige hat das Recht, durch Vertretungsorgane in den wirtschaftlichen, sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebes und auch des Unternehmens mitzubestimmen, falls dieses aufgrund der Zahl seiner Beschäftigten, seiner Marktstellung oder anderer Merkmale eine besondere Bedeutung für das Gemeinwesen hat. Das Nähere regelt das Gesetz.
Artikel 29
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Formen, Inhalt und Umfang werden durch die Gesetze bestimmt. Eigentum ist sozialpflichtig.
(2) Das persönlich genutzte und das genossenschaftliche Eigentum sowie die aufgrund eigener Leistung erworbenen Rentenansprüche und -anwartschaften stehen unter dem besonderen Schutz der Verfassung. Der Erwerb von persönlichem Eigentum an Wohnungen und Wohngrundstücken und die Bildung genossenschaftlichen Eigentums werden gefördert.
(3) Die hoheitliche Übertragung des Eigentums oder einzelner Eigentumsrechte auf einen Dritten aus Gründen des Allgemeinwohls (Enteignung) ist zulässig. Die Enteignung persönlich genutzten Eigentums ist nur aus dringenden Gründen des Allgemeinwohls zulässig. Enteignungen dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Werden bestehende Eigentumsrechte durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes umgestaltet und wird dem Eigentümer dadurch ein schwerwiegender vermögenswerter Nachteil auferlegt (Sonderopfer), so ist ein Opferausgleich vorzusehen. Entschädigung und Opferausgleich sind unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen; nur soweit persönlich genutztes Eigentum betroffen ist, ist der Wertverlust voll auszugleichen. Dem persönlich genutzten Eigentum steht das genossenschaftliche Eigentum gleich.
Artikel 30
Die Bildung von Kartellen und marktbeherrschenden Unternehmen ist unzulässig. Ausnahmen sind nur auf gesetzlicher Grundlage im Interesse der Sicherung gefährdeter Arbeitsplätze, der Förderung strukturschwacher Regionen und der Erhaltung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit möglich.
Artikel 31
(1) Boden und Wirtschaftsunternehmen können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in selbständige Unternehmen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 29 Absatz 3 Satz 5 entsprechend.
(2) Der Staat und die Träger der Kommunalautonomie sind befugt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben am Wirtschaftsleben teilzunehmen.
(3) Aus Gründen der zuverlässigen und umfassenden Versorgung der Bevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen sowie aus wichtigen ordnungspolitischen Gründen können durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes Monopole der öffentlichen Hand geschaffen werden.
Artikel 32
(1) Die Nutzung des Bodens und der Gewässer ist in besonderem Maße den Interessen der Allgemeinheit und künftiger Generationen verpflichtet. Ihre Verkehrsfähigkeit kann durch Gesetz beschränkt werden. Die Nutzung von Grund und Boden ist nur im Rahmen einer Flächenutzungsplanung zulässig. Das Eigentum und die Nutzung von land- und forstwirtschaftlichen Flächen, die einhundert Hektar übersteigen, ist genossenschaftlichen und öffentlichen Einrichtungen und den Kirchen vorbehalten. Die Veräußerung von Grund und Boden und die Überlassung von Nutzungsrechten an Ausländer bedürfen der Genehmigung.
(2) Steigert sich der Wert von Boden aufgrund seiner planerischen Umwandlung in Bauland, so steht den Trägern der Kommunalautonomie ein Ausgleich für die Wertsteigerung zu. Dieser Planungswertausgleich wird in der Regel durch die entschädigungslose Abgabe eines Anteils des beplanten Bodens erbracht. Der Anteil entspricht dem Maß der Wertsteigerung, darf aber die Hälfte des Bodens nicht übersteigen.
(3) Der Abbau von Bodenschätzen bedarf der staatlichen Genehmigung. Dabei ist dem öffentlichen Interesse an der schonenden Nutzung des Bodens besonderes Gewicht beizumessen.
Artikel 33
(1) Der Schutz der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage gegenwärtiger und künftiger Generationen ist Pflicht des Staates und aller Bürger. Die staatliche Umweltpolitik hat Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen zu treffen sowie auf den sparsamen Gebrauch und die Wiederverwendung nichterneuerbarer Rohstoffe und die sparsame Nutzung von Energie hinzuwirken.
(2) Eine schwere Beeinträchtigung oder Gefährdung der natürlichen Umwelt darf nur in dem Umfang zugelassen werden, indem dies zum Schutz überragend wichtiger Interessen der Allgemeinheit unerläßlich ist.
(3) Niemand darf durch nachteilige Veränderungen der natürlichen Lebensgrundlagen in seiner Gesundheit verletzt oder unzumutbar gefährdet werden. Jedermann kann mit der Behauptung, durch nachteilige Veränderungen der natürlichen Umwelt in seinem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gefährdet oder verletzt zu sein, die Offenlegung der Daten über die Umweltbeschaffenheit seines Lebenskreises verlangen. Die Verbandsklage ist zulässig.
(4) Wer Umweltschäden verursacht, haftet und ist für Ausgleichsmaßnahmen verantwortlich.
(5) Der Staat und die Träger der Kommunalautonomie sind verpflichtet, der Allgemeinheit die Zugänge zu Bergen, Wäldern, Feldern, Seen und Flüssen freizuhalten und gegebenenfalls durch Einschränkungen des Eigentumsrechts freizumachen.
3. Abschnitt
Rechte der Sorben
Artikel 34
(1) Der Staat achtet und fördert die Interessen der Sorben. Er gewährleistet und schützt ihr Recht auf den Gebrauch und die Pflege ihrer Sprache, Kultur und Traditionen. Er unterhält oder unterstützt die dazu erforderlichen Einrichtungen, insbesondere im Sozial- und Bildungswesen. Die Sorben haben das Recht, ihre Muttersprache vor den Verwaltungsbehörden und den Gerichten zu gebrauchen. In der Landes- und Regionalplanung sind die Lebensbedürfnisse der Sorben besonders zu berücksichtigen.
(2) Durch Gesetz können Autonomierechte eingeräumt werden.
4. Abschnitt
Gesellschaftliche Gruppen und Verbände
Artikel 35
(1) Vereinigungen, die sich öffentlichen Aufgaben widmen und dabei auf die öffentliche Meinungsbildung einwirken (Bürgerbewegungen), genießen als Träger freier gesellschaftlicher Gestaltung, Kritik und Kontrolle den besonderen Schutz der Verfassung.
(2) Bürgerbewegungen, deren Tätigkeit sich auf den Bereich eines Landes oder des Bundes erstreckt, haben das Recht des Vorbringens und der sachlichen Behandlung ihrer Anliegen in den zuständigen Ausschüssen der Volkskammer oder der Landtage. Sie haben, soweit die Persönlichkeit und die Privatheit Dritter nicht verletzt werden, nach Abwägung entgegenstehender öffentlicher Interessen Anspruch auf Zugang zu den bei den Trägern öffentlicher Verwaltung vorhandenen Informationen, die ihre Anliegen betreffen.
Artikel 36
(1) Die Freiheit der Vereinigungen ist gewährleistet. Sie haben das Recht, ihre innere Ordnung frei und selbständig zu bestimmen.
(2) Die innere Ordnung von Verbänden muß demokratischen Grundsätzen entsprechen, sofern sie überwiegend die Interessen ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit vertreten oder an der Erfüllung staatlicher oder überwiegend staatlich finanzierter öffentlicher Aufgaben mitwirken. Das Gleiche gilt für Verbände, die in ihrem Wirkungsbereich keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind. Im Rahmen des Verbandszwecks haben die Mitglieder das Recht auf die ungehinderte Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und auf die Freiheit der Gruppenbildung. Die gleichberechtigte Teilnahme an der innerverbandlichen Willensbildung ist gewährleistet.
(3) Verbände im Sinne des Absatz 2 Satz 2 dürfen die Mitgliedschaft nicht aus sachwidrigen Gründen verwehren.
(4) Das Gesetz kann vorsehen, daß Vereinigungen, die nach ihrem Zweck oder ihrer Tätigkeit gegen die Strafgesetze verstoßen, Beschränkungen unterworfen oder verboten werden.
Artikel 37
(1) Die Freiheit der Parteien, gleichberechtigt an der politischen Willensbildung in der Gesellschaft mitzuwirken, ist gewährleistet.
(2) Die innere Ordnung der Parteien muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Die Mitglieder haben das Recht auf die ungehinderte Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Rahmen des Parteiprogramms sowie auf gleichberechtigte Teilnahme an der innerparteilichen Willensbildung.
(3) Die Parteien haben über ihre Finanzierung öffentlich Rechenschaft abzulegen. Die Wahlkampfkostenerstattung ist an eine gesonderte Entscheidung der Wahlberechtigten Bürger gebunden (Bürgerbonus). Diese Regelungen gelten auch für Bürgerbewegungen, soweit sie sich an Wahlen zur Volkskammer oder zu den Landtagen beteiligen.
(4) Die Rechte von Parteien, die systematisch und nachhaltig in ihrer Programmatik die Menschenwürde angreifen oder in dieser Weise durch ihre Tätigkeit gegen die Grundsätze eines offenen und gewaltlosen politischen Willensbildungsprozesses verstoßen, können, sofern Gefahren für den politischen Willensbildungsprozeß anders nicht abgewendet werden können, von einer Wahl ausgeschlossen oder verboten werden. Die Entscheidungen sind dem Verfassungsgericht vorbehalten; ihre Wirkung ist zeitlich zu begrenzen. Vor einer Entscheidung des Verfassungsgerichts ist keinerlei Benachteiligung der Partei oder ihrer Mitglieder zulässig. Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte der Mitglieder werden auch durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichts in keiner Weise berührt.
Artikel 38
(1) Die Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften ist gewährleistet. Sie ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze. Die Gleichwertigkeit des sozialen Schutzes kirchlicher Arbeitnehmer mit den Garantien aus dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht ist zu gewährleisten.
(2) Kirchen und Religionsgemeinschaften wird auf Antrag die Rechtsstellung einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuerkannt.
(3) Der Staat fördert und unterstützt nach Maßgabe von Vereinbarungen die Kirchen und Religionsgemeinschaften, insbesondere in ihren sozialen Tätigkeiten und bei der Wahrung ihres kulturellen Erbes. Der Staat kann aufgrund von Vereinbarungen für Kirchen und Religionsgemeinschaften gegen Erstattung der Verwaltungskosten die Einbeziehung der Mitgliedsbeiträge übernehmen.
Artikel 39
(1) Jedermann hat das Recht, Gewerkschaften zu bilden, ihnen beizutreten und sich in ihnen den Gewerkschaftszwecken gemäß zu betätigen. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig und durch Gesetz mit Sanktionen zu belegen. Die Errichtung berufsständischer öffentlich-rechtlicher Vereinigungen mit Zwangsmitgliedschaft ist unzulässig.
(2) Die Freiheit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften ist gewährleistet. Sie haben das Recht des Zutritts zu den Betrieben. Das Nähere über die gewerkschaftliche Tätigkeit in den Betrieben wird durch Gesetz geregelt.
(3) Die Gewerkschaften müssen in tarifrechtlicher Hinsicht gegnerfrei sein. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Das Recht der Mitglieder auf die ungehinderte Ausübung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit, auf Freiheit der Gruppenbildung sowie auf gleichberechtigte Teilnahme an der innergewerkschaftlichen Willensbildung ist zu gewährleisten.
(4) Gewerkschaften haben das Recht, über alle die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen betreffenden Angelegenheiten Tarifverträge abzuschließen. Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften und ihre Dachverbände, Unternehmen aller Eigentumsformen und Unternehmensverbände, der Bund, die Länder und die Träger der Kommunalautonomie.
(5) Das Streikrecht der Gewerkschaften ist gewährleistet. Bei Arbeitskämpfen ist der Schadenersatz, nicht aber die Androhung und Erhebung von Zwangsgeldern zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen ausgeschlossen. Der Lohnersatz bei mittelbar arbeitskampfbedingten Produktionsausfällen ist Gemeinlast der sozialen Autonomie und wird den Betrieben nach Maßgabe gesetzlicher Regelungen erstattet.
(6) Eine das Arbeitsrechtsverhältnis beendende Aussperrung ist verboten. In nicht bestreikten Betrieben ist jegliche Aussperrung verboten.
5. Abschnitt
Geltung
Artikel 40
(1) Die Menschen- und Bürgerrechte dieser Verfassung binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt, Rechtsprechung und, soweit die Verfassung dies vorsieht, auch Dritte unmittelbar.
(2) Soweit Menschen- und Bürgerrechte durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden können, muß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Solche Beschränkungen dürfen in keinem Falle den Wesensgehalt eines Menschen- und Bürgerrechts antasten.
(3) Die Menschen- und Bürgerrechte gelten auch für inländische juristische Personen des privaten und öffentlichen Rechts, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand in seinen Menschen- und Bürgerrechten verletzt, so kann er sie auf dem Rechtsweg einklagen.
II. Kapitel
Grundsätze und Organe des Staates
1. Abschnitt
Grundsätze
Artikel 41
(1) Die Deutsche Demokratische Republik ist ein rechtsstaatlich verfaßter demokratischer und sozialer Bundesstaat und besteht aus den Ländern ... Sie bekennt sich zu dem Ziel der Schaffung einer gesamteuropäischen Friedensordnung, welche die durch den Zweiten Weltkrieg in Deutschland geschaffene Lage auf der Grundlage der Aussöhnung mit allen Völkern, die von Deutschen unterdrückt und verfolgt wurden, überwindet. In diesem Rahmen wird das deutsche Volk über die staatliche Gestaltung Deutschlands selbst bestimmen.
(2) Die Deutsche Demokratische Republik bekennt sich zu dem Ziel der Herstellung der Einheit der beiden deutschen Staaten.
Artikel 42
(1) Träger der Staatsgewalt ist das Volk.
(2) Die Gesetzgebung ist an die Normen der Verfassung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an die Verfassung, sowie an Gesetz und Recht gebunden.
(3) Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind unmittelbar geltendes Bundesrecht.
Artikel 43
Die Staatsflagge der Deutschen Demokratischen Republik trägt die Farben schwarz-rot-gold. Das Wappen des Staates ist die Darstellung des Mottos "Schwerter zu Pflugscharen".
Artikel 44
(1) Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, können Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen, insbesondere auf gemeinsame Einrichtungen der beiden deutschen Staaten übertragen werden. Artikel 132 Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(2) Die Beschränkung von Hoheitsrechten zugunsten eines Systems kollektiver Sicherheit im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung ist zulässig.
Artikel 45
(1) Die Deutsche Demokratische Republik fördert alle auf eine ausgewogene Abrüstung gerichteten Bestrebungen und Maßnahmen.
(2) Die Vorbereitung oder Führung eines Angriffskrieges ist verboten.
(3) Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Regierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden. Sie dürfen nur in Staaten exportiert werden, die dem gleichen System kollektiver Sicherheit angehören.
2. Abschnitt
Staatshaftung
Artikel 46
Für Schäden, die einem Dritten durch rechtswidriges Handeln oder Unterlassen von Mitarbeitern eines Trägers öffentlicher Gewalt in Wahrnehmung dienstlicher Pflichten zugefügt werden, haftet derjenige Hoheitsträger, dessen Mitarbeiter den Schaden verursacht hat. Das Nähere regelt das Gesetz.
3. Abschnitt
Der Bund, die Länder und die Kommunalautonomie
Artikel 47
(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des demokratischen und sozialen Rechtsstaates entsprechen.
(2) Den Ländern steht die Wahrnehmung der staatlichen Aufgaben zu, soweit sie nicht durch diese Verfassung dem Bund oder den Trägern der Kommunalautonomie zugewiesen sind.
Artikel 48
(1) Bundesrecht bricht Landesrecht.
(2) Verletzt ein Land die ihm nach der Verfassung oder einem anderen Gesetz des Bundes obliegenden Pflichten, so kann die Regierung mit Zustimmung der Länderkammer die notwendigen Maßnahmen treffen, um das Land zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Die Regierung oder die Beauftragten haben dazu das Weisungsrecht gegenüber dem Land und seinen Behörden.
(3) Die innerhalb des Bundes geübte Rechts- und Amtshilfe wird auch den Ländern, die innerhalb eines Landes geübte Rechts- und Amtshilfe wird auch anderen Ländern und dem Bund gewährt.
Artikel 49
(1) Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten und zur Bundesrepublik Deutschland ist Sache des Bundes.
(2) Verträge und Vereinbarungen mit auswärtigen Staaten oder mit der Bundesrepublik Deutschland, die die Zuständigkeiten der Länder berühren, bedürfen der Zustimmung der Länderkammer. Vor dem Abschluß eines Vertrages oder einer Vereinbarung, die die besonderen Verhältnisse eines Landes berühren, ist das Einvernehmen mit dem betroffenen Land herbeizuführen. Kommt eine Einigung nicht zustande, so entscheidet die Länderkammer.
(3) Soweit die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz haben, können sie mit auswärtigen Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und deren Ländern Verträge schließen und Vereinbarungen treffen. Das Benehmen mit der Regierung des Bundes ist herzustellen.
Artikel 50
(1) Das Recht der Träger der Kommunalautonomie, die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln und zu verwalten, ist gewährleistet. Es schließt die Satzungs-, Organisations-, Personal-, Planungs- und Finanzhoheit ein.
(2) Die Träger der Kommunalautonomie sind durch einen Finanzausgleich in die Lage zu versetzen, ihre Aufgabe zu erfüllen. Aufgaben dürfen ihnen nur durch Gesetz und nur dann entzogen werden, wenn sie zu ihrer Erfüllung außerstande sind.
(3) In die Verantwortung der Träger der Kommunalautonomie fallen
die örtliche Verkehrs- und Bauleitplanung;
der örtliche Nahverkehr;
die örtliche Wohnraumbeschaffung und Wohnraumverwaltung;
die Sozialhilfe;
die medizinische Grundversorgung einschließlich der Krankenversicherung;
die Einrichtungen der Kinderbetreuung;
die Altenbetreuung;
die Daseinsvorsorge für Menschen mit Behinderung;
die Einrichtungen des Bildungswesens mit Ausnahme der Hoch- und Fachschulen;
die Kultur-, Jugend- und Breitensportförderung einschließlich ihrer Einrichtungen;
die Schaffung und Erhaltung von Naherholungsgebieten und Freizeiteinrichtungen;
die Wahrung der öffentlichen Sicherheit durch örtliche Polizeibehörden;
die Förderung der örtlichen Wirtschaftsstruktur;
die Bauaufsicht, insbesondere die Erteilung von Baugenehmigungen;
die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Hausmüll und Abwässern;
die Förderung von Städte- und Gemeindepartnerschaften.
(4) Soweit andere Aufgaben bisher von den Kreisen, Städten und Gemeinden wahrgenommen wurden, werden sie von den Trägern der Kommunalautonomie als Selbstverwaltungs- oder als Auftragsangelegenheiten wahrgenommen. Durch Gesetz können weitere Aufgaben übertragen werden.
(5) Die Länder üben in den Angelegenheiten der Kommunalautonomie die Rechtsaufsicht, im übrigen die Fachaufsicht aus.
4. Abschnitt
Die Volkskammer
Artikel 51
(1) Die Volkskammer ist das oberste Organ der Staatswillensbildung. Sie hat die Aufgabe der Gesetzgebung, der Kontrolle der Regierung und Verwaltung, der Verabschiedung des Staatshaushalts, der Wahl des Ministerpräsidenten, der Bestätigung des Regierungsprogramms und der Ratifikation völkerrechtlicher Verträge. Sie nimmt alle Aufgaben und Befugnisse des Bundes wahr, soweit sie von dieser Verfassung nicht anderen Organen ausdrücklich vorbehalten sind.
(2) Die Opposition ist ein notwendiger Bestandteil der parlamentarischen Demokratie. Sie steht der Regierungsmehrheit als Alternative gegenüber und hat das Recht auf Chancengleichheit.
Artikel 52
(1) Die Volkskammer besteht aus 400 Abgeordneten. Der Volkskammer können der Präsident der Republik, die Mitglieder des Verfassungsgerichts, die Mitglieder des Rechnungshofes, die Mitglieder der Staatsbank und der Datenschutzbeauftragte nicht angehören.
(2) Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden. Niemand kann einen Abgeordneten zwingen, gegen seine Überzeugung zu entscheiden.
(3) Die Abgeordneten haben das Recht, in der Volkskammer oder deren Ausschüssen das Wort zu ergreifen, Fragen und Anträge zu stellen sowie bei Wahlen und Beschlüssen ihre Stimme abzugeben. Die Geschäftsordnung gewährleistet das Rederecht nicht fraktionsgebundener Abgeordneter und deren Mitwirkung in den Ausschüssen.
(4) Dem Abgeordneten stehen eine seine Unabhängigkeit sichernde Vergütung sowie Aufwandsentschädigung und die unentgeltliche Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu. Die Rechte der Abgeordneten sind nicht übertragbar und nicht pfändbar.
Artikel 53
(1) Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er in der Volkskammer oder in einem ihrer Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst zur Verantwortung gezogen werden.
(2) Einem Abgeordneten darf für Äußerungen, die er in Ausübung des Rederechts macht, weder das Wort entzogen noch die Teilnahme an Sitzungen verwehrt werden. In anderen Fällen kann ein Ausschluß von der Sitzung nur mit einer Mehrheit von drei Vierteln der anwesenden Abgeordneten erfolgen. Der Ausschluß von der Sitzung darf nicht zum Ausschluß von einer Abstimmung führen.
(3) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Erlaubnis der Volkskammer verfolgt werden. Bei Festnahme und anderen Zwangsmaßnahmen der Strafverfolgung muß unverzüglich eine Entscheidung der Volkskammer herbeigeführt werden. Bis zur Entscheidung der Volkskammer nimmt deren Präsident die dem Ermittlungsrichter zustehenden Rechte wahr. Die Erlaubnis der Volkskammer ist auch bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit des Abgeordneten erforderlich.
(4) Jedes Strafverfahren, jede Freiheitsentziehung und jede sonstige Beschränkung der persönlichen Freiheit sind auf Verlangen der Volkskammer auszusetzen. Der Aussetzungsbeschluß gilt auch für die Zeit zwischen den Wahlperioden bis zu seiner Aufhebung.
(5) Die Abgeordneten sind berechtigt, das Zeugnis zu verweigern. Auch nach dem Ende des Mandats sind die Abgeordneten berechtigt, über Tatsachen und Personen, mit denen sie in ihrer Eigenschaft als Mandatsträger befaßt waren, das Zeugnis zu verweigern. Das Zeugnisverweigerungsrecht erlischt nicht durch die Beendigung des Mandats. Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht reicht, ist eine Beschlagnahme unzulässig.
Artikel 54
(1) Wer sich um ein Mandat bewirbt, hat Anspruch auf den zur Vorbereitung seiner Wahl erforderlichen Urlaub.
(2) Niemand darf gehindert werden, ein Mandat zu übernehmen und auszuüben. Eine Kündigung oder Entlassung aus diesem Grunde ist unzulässig.
Artikel 55
(1) Die Wahlperiode der Volkskammer endet vier Jahre nach dem ersten Zusammentritt oder mit der Auflösung. Die Neuwahl findet im letzten Vierteljahr der Wahlperiode statt, im Falle der Auflösung an dem Sonntag, der dem 49. Tag der Auflösung folgt.
(2) Die Volkskammer tritt spätestens am 30. Tag nach der Wahl, jedoch nicht vor dem Ende der Wahlperiode des letzten Parlaments zusammen.
(3) Die Volkskammer kann jederzeit mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder ihre Auflösung beschließen.
(4) Die Volkskammer bestimmt den Schluß und den Wiederbeginn ihrer Sitzungen. Der Präsident der Volkskammer kann sie früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Fünftel der Mitglieder, der Präsident der Republik oder der Ministerpräsident es verlangen.
Artikel 56
(1) Die Volkskammer gibt sich eine Geschäftsordnung und wählt ihren Präsidenten, dessen Stellvertreter und die Schriftführer (Präsidium). Organe der Volkskammer sind der Präsident, das Präsidium, der Ältestenrat, die Ausschüsse und die Fraktionen.
(2) Der Präsident führt die Geschäfte der Volkskammer. Er übt die Ordnungsgewalt und das Hausrecht im Gebäude der Volkskammer aus. Ohne seine Genehmigung darf in den Räumen der Volkskammer keine Durchsuchung oder Beschlagnahme stattfinden.
(3) Der Präsident verwaltet im Einvernehmen mit dem Präsidium die gesamten wirtschaftlichen Angelegenheiten der Volkskammer und stellt den Entwurf des Haushaltsplanes der Volkskammer fest. Der Präsident ist oberste Dienstbehörde der Beschäftigten der Volkskammer. Zu ihrer Einstellung und Entlassung benötigt er die Zustimmung des Präsidiums. Der Präsident vertritt die Volkskammer in allen Angelegenheiten nach innen und außen.
Artikel 57
(1) Zusammenschlüsse von Abgeordneten haben die Stellung einer Fraktion, wenn sie fünf Prozent der Zahl der Abgeordneten auf sich vereinen. Die Geschäftsordnung kann einen geringeren Prozentsatz festlegen.
(2) Die Fraktionen haben Sitz und Stimme in den Organen der Volkskammer. Bei der Verteilung der Redezeit darf die Opposition gegenüber Mehrheit und Regierung nicht benachteiligt werden.
(3) Die Arbeitsfähigkeit der Fraktionen und der einzelnen Abgeordneten, auch der fraktionslosen, ist zu gewährleisten. Hierzu gehören die Einrichtung und technische Ausrüstung von Büros und die Finanzierung von Mitarbeitern und des sachlichen Bedarfs.
Artikel 58
(1) Die Wahlprüfung ist Sache der Volkskammer. Gegen die Entscheidung der Volkskammer ist die Beschwerde beim Verfassungsgericht gegeben.
(2) Das Mandat endet bei Verlust der Wählbarkeit oder bei Verzicht. Ein Entzug des Mandats ist unzulässig.
Artikel 59
(1) Die Volkskammer und ihre Ausschüsse verhandeln öffentlich. Die Öffentlichkeit kann in der Volkskammer mit Zweidrittelmehrheit, in den Ausschüssen mit der Mehrheit der Mitglieder ausgeschlossen werden. Über den Antrag wird in nichtöffentlicher Sitzung entschieden.
(2) Die Volkskammer ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder anwesend ist. Sie faßt ihre Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, soweit diese Verfassung nichts anderes bestimmt.
(3) Die Berichterstattung über die öffentlichen Sitzungen der Volkskammer und ihrer Ausschüsse und eine öffentlich zugängliche Dokumentation über Verlauf und Ergebnis der Sitzungen werden gewährleistet. Für wahrheitsgetreue Berichte über die Sitzungen kann niemand verantwortlich gemacht werden.
Artikel 60
(1) Die Volkskammer und ihre Ausschüsse können die Anwesenheit jedes Mitgliedes der Regierung verlangen, Es muß der Volkskammer Rede und Antwort stehen.
(2) Die Mitglieder der Regierung und die Mitglieder der Länderkammer haben Zutritt zu den Sitzungen der Volkskammer und ihrer Ausschüsse. Den Mitgliedern der Regierung und der Länderkammer steht das Rederecht zu. Der Ministerpräsident muß jederzeit gehört werden.
Artikel 61
(1) Bei den Beratungen der Ausschüsse haben alle Fraktionen das Recht, daß mindestens ein von ihnen benannter Sachverständiger gehört wird.
(2) Wer Gesetzesvorschläge unterbreitet, ist von den zuständigen Ausschüssen zu hören. Hierzu können Unterausschüsse gebildet werden.
Artikel 62
(1) Die Volkskammer bestellt einen Ausschuß zur Behandlung von Anregungen, Kritiken und Beschwerden. Der Vorsitzende des Ausschusses ist zugleich der Bürgeranwalt.
(2) Regierung und Verwaltung sind verpflichtet, dem Ausschuß auf Verlangen Akten vorzulegen, Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen zu gewähren, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Amtshilfe zu leisten.
Artikel 63
(1) Die Volkskammer hat das Recht und auf Antrag einer Fraktion die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, die in öffentlicher Verhandlung die Beweise erheben, die sie oder die Antragsteller für sachdienlich halten. Die Öffentlichkeit kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Ausschusses ausgeschlossen werden.
(2) Der Vorsitzende wird mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Untersuchungsausschusses gewählt. Er darf keiner der die Regierung bildenden Parteien oder Bürgerbewegungen angehören.
(3) Auf die Beweiserhebung finden die Vorschriften der Strafprozeßordnung sinngemäß Anwendung. Auf Verlangen eines Fünftels der Mitglieder des Untersuchungsausschusses sind Regierung und Verwaltung verpflichtet, ihren Bediensteten Aussagegenehmigungen zu erteilen. Gerichte und Verwaltungsbehörden haben Rechts- und Amtshilfe zu leisten. Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis bleibt unangetastet.
(4) Der Untersuchungsbericht ist der richterlichen Erörterung entzogen. In der Würdigung des der Untersuchung zugrunde liegenden Sachverhalts sind die Gerichte frei.
Artikel 64
(1) Die Volkskammer bestellt einen Ständigen Ausschuß, der die Rechte der Volkskammer gegenüber der Regierung zwischen zwei Wahlperioden wahrt.
(2) Der Ständige Ausschuß hat auch die Rechte eines Untersuchungsausschusses, nicht aber das Recht, Gesetze zu beschließen, den Ministerpräsidenten zu wählen, ihn oder Minister abzuwählen oder den Präsidenten der Republik anzuklagen.
Artikel 65
(1) Zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte und als Hilfsorgan der Volkskammer werden der Bürgeranwalt, ein Beauftragter für Fragen der Gleichstellung von Mann und Frau, ein Beauftragter für den Strafvollzug und ein Beauftragter für Ausländer bestellt. Sie werden von der Volkskammer auf die Dauer von sechs Jahren mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder gewählt. Sie können mit derselben Mehrheit abgewählt werden. Einmalige Wiederwahl ist zulässig.
(2) Die Beauftragten sind in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Regierung und Verwaltung sind verpflichtet, ihnen auf Verlangen Akten vorzulegen, Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen zu gewähren, alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Amtshilfe zu leisten.
(3) Die Beauftragten erstatten der Volkskammer jährlich öffentlich Bericht. Die Volkskammer und ihre Ausschüsse können jederzeit die Anwesenheit der Beauftragten verlangen.
(4) Niemand darf wegen seiner Eingaben oder wegen Auskünften gegenüber den Beauftragten gemaßregelt oder benachteiligt werden.
5. Abschnitt
Die Länderkammer
Artikel 66
(1) Durch die Länderkammer wirken die Länder an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit.
(2) Die Länderkammer besteht aus Mitgliedern der Landesregierungen, die von diesen bestellt und abberufen werden. Eine Vertretung ist zulässig.
(3) Jedes Land hat mindestens drei Stimmen. Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern erhalten eine weitere Stimme für je eine weitere Million Einwohner. Restzahlen werden gerundet.
(4) Die Stimmen des Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder der Länderkammer oder deren Vertreter abgegeben werden. Die Länder können höchstens so viele Mitglieder entsenden, wie ihnen Stimmen zustehen.
Artikel 67
(1) Die Länderkammer wählt jährlich einen Präsidenten.
(2) Der Präsident beruft die Länderkammer ein. Auf Verlangen eines Landes oder des Ministerpräsidenten hat er die Länderkammer einzuberufen.
(3) Soweit in dieser Verfassung nichts anderes bestimmt ist, faßt die Länderkammer ihre Beschlüsse mit der Mehrheit der Stimmen ihrer Mitglieder.
(4) Die Verhandlungen der Länderkammer sind öffentlich. Die Öffentlichkeit kann mit Zustimmung von zwei Dritteln der Länder ausgeschlossen werden.
(5) Den Ausschüssen der Länderkammer können andere Mitglieder oder Beauftragte der Länderregierungen angehören.
Artikel 68
Die Mitglieder der Regierung haben das Recht und auf Verlangen die Pflicht, an den Verhandlungen der Länderkammer und ihrer Ausschüsse teilzunehmen. Sie müssen jederzeit gehört werden.
6. Abschnitt
Die Regierung
Artikel 69
Die Regierung hat die Aufgabe der Staatsleitung und die Verantwortung für die vollziehende Gewalt des Bundes. Sie besteht aus dem Ministerpräsidenten und den Ministern.
Artikel 70
(1) Der Ministerpräsident wird von der Volkskammer auf Vorschlag des Präsidenten der Republik ohne Aussprache gewählt.
(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer auf sich vereinigt. Der Gewählte wird vom Präsidenten der Republik ernannt.
(3) Wird der Vorgeschlagene nicht gewählt, so kann die Volkskammer binnen dreier Wochen nach dem Wahlgang mit der Mehrheit ihrer Mitglieder einen Ministerpräsidenten wählen.
(4) Kommt innerhalb der Frist des Absatzes 3 eine Wahl nicht zustande, so findet unverzüglich ein neuer Wahlgang statt, in dem gewählt ist, wer die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhält. Vereinigt der Gewählte die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer auf sich, so muß der Präsident der Republik ihn ernennen. Erreicht der Gewählte diese Mehrheit nicht, so hat der Präsident der Republik binnen sieben Tagen entweder ihn zu ernennen oder die Volkskammer aufzulösen.
Artikel 71
Die Minister werden auf Vorschlag des Ministerpräsidenten vom Präsidenten der Volkskammer ernannt und entlassen. Der Ministerpräsident ernennt seine Stellvertreter aus dem Kreis der Minister.
Artikel 72
Der Ministerpräsident und die Minister leisten bei der Amtsübernahme vor der Volkskammer folgenden Eid: "Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Recht und Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde." Dem Eid kann auch eine religiöse Beteuerung hinzugefügt werden.
Artikel 73
Der Ministerpräsident und die Minister dürfen kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben. Über die Mitwirkung in Wirtschaftsunternehmen entscheidet die Volkskammer, wenn es sich um ein auf Erwerb gerichtetes Unternehmen handelt.
Artikel 74
(1) Der Ministerpräsident leitet die Geschäfte der Regierung und bestimmt die Richtlinien der Politik im Rahmen des von der Volkskammer bestätigten Regierungsprogramms. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Minister seinen Geschäftsbereich selbständig und in eigener Verantwortung.
(2) Über Meinungsverschiedenheiten der Minister entscheidet die Regierung. Der Ministerpräsident leitet die Geschäfte der Regierung nach einer von ihr beschlossenen und vom Präsidenten der Volkskammer genehmigten Geschäftsordnung.
Artikel 75
(1) Die Volkskammer kann dem Ministerpräsidenten das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß sie mit der Mehrheit ihrer Mitglieder einen Nachfolger wählt. Der Gewählte ist vom Präsidenten der Republik zu ernennen.
(2) Zwischen dem Antrag und der Wahl müssen 48 Stunden liegen.
Artikel 76
(1) Findet ein Antrag des Ministerpräsidenten, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer, so muß der Präsident der Republik die Volkskammer am 21. Tag nach der Abstimmung auflösen, wenn sie nicht bis dahin mit der Mehrheit ihrer Mitglieder einen Ministerpräsidenten wählt.
(2) Zwischen dem Antrag und der Abstimmung müssen 48 Stunden liegen.
Artikel 77
(1) Das Amt des Ministerpräsidenten oder eines Ministers endet mit dem Zusammentritt einer neuen Volkskammer, das Amt eines Ministers auch mit dem Rücktritt oder jeder anderen Beendigung des Amtes des Ministerpräsidenten.
(2) Jeder Minister muß zurücktreten, wenn ihm die Volkskammer das Vertrauen entzieht.
(3) Endet das Amt des Ministerpräsidenten, so sind er und mit ihm die Regierung verpflichtet, ihre Geschäfte bis zur Übernahme durch die neu zu bildende Regierung weiterzuführen. Auf Ersuchen des Ministerpräsidenten hat auch ein Minister die Geschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen.
7. Abschnitt
Der Präsident der Republik
Artikel 78
Der Präsident der Republik ist das Staatsoberhaupt.
Artikel 79
(1) Der Präsident vertritt die Deutsche Demokratische Republik völkerrechtlich. Er beglaubigt und empfängt die Chefs der diplomatischen Missionen.
(2) Im Falle der Verhinderung wird der Präsident vom Präsidenten der Länderkammer vertreten.
Artikel 80
Verträge mit auswärtigen Staaten und Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland, die sich auf Gegenstände beziehen, für die der Bund die Gesetzgebungsbefugnis hat, bedürfen der Zustimmung der Volkskammer in der Form eines Gesetzes, soweit sie innerstaatliche Rechte und Pflichten begründen sollen. Die Vorschriften dieser Verfassung über die Mitwirkung der Länderkammer bleiben unberührt. Andere Verträge bedürfen der Zustimmung der Volkskammer, soweit sie von erheblicher Bedeutung für die Deutsche Demokratische Republik sind.
Artikel 81
(1) Der Präsident ernennt auf Vorschlag der bei ihm eingerichteten Wahlausschüsse die Bundesrichter und den Generalstaatsanwalt sowie die Mitglieder der Staatsbank und des Rechnungshofes des Bundes.
(2) Beim Präsidenten wird ein Bundesbeauftragter für den Datenschutz bestellt. Der Datenschutzbeauftragte wird vom Präsidenten berufen und ernannt. Artikel 65 Absätze 2 bis 4 finden Anwendung.
Artikel 82
Der Präsident übt das Gnadenrecht des Bundes aus.
Artikel 83
Der Präsident stiftet und verleiht Orden.
Artikel 84
Der Präsident kann zu Themen, die für die Allgemeinheit von besonderem Gewicht sind, Expertenkommissionen berufen.
Artikel 85
(1) Der Präsident wird ohne Aussprache von der Bundesversammlung auf vier Jahre gewählt. Wiederwahl ist zulässig. Die Bundesversammlung besteht aus allen Abgeordneten der Volkskammer, der Landtage sowie der Volksvertretungen der Kreise und der kreisfreien Städte.
(2) Die Bundesversammlung tritt zur gleichen Stunde, jeweils nach Ländern getrennt, zum Wahlakt zusammen. In den Ländern treten die Landtage und die Volksvertretungen der Kreise und kreisfreien Städte gemeinsam zusammen. Die Abgeordneten der Volkskammer treten gesondert zusammen.
(3) Die Bundesversammlung wird vom Präsidenten der Volkskammer im Einvernehmen mit dem Präsidenten der Länderkammer einberufen. Die Teilversammlungen der Bundesversammlung in den Ländern werden von den Landtagspräsidenten geleitet.
Artikel 86
(1) Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Bundesversammlung auf sich vereinigt.
(2) Ist im ersten Wahlgang der Präsident nicht gewählt, so sind für den unverzüglich anzuberaumenden zweiten Wahlgang nur die drei Kandidaten zugelassen, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben. Gewählt ist, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt.
(3) Nach der Annahme seiner Wahl leistet der Präsident vor der Volkskammer den Amtseid in der in Artikel 72 niedergelegten Formel. Artikel 72 Satz 2 ist anwendbar.
Artikel 87
(1) Der Präsident genießt Immunität und Indemnität.
(2) Wegen Verletzung seiner Amtspflichten kann der Präsident nur vom Verfassungsgericht zur Verantwortung gezogen werden. Antragsberechtigt ist die Volkskammer. Der Antrag bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln ihrer Mitglieder.
Artikel 88
Der Präsident darf weder einer Regierung noch einer gesetzgebenden Körperschaft angehören. Er darf kein anderes besoldetes Amt, kein Gewerbe und keinen Beruf ausüben und nicht Mitglied des Vorstandes oder Aufsichtsrates eines Unternehmens sein.
III. Kapitel
Funktionen des Staates
1. Abschnitt
Gesetzgebung
Artikel 89
Die Gesetze werden durch die Volkskammer oder durch Volksentscheid beschlossen.
Artikel 90
(1) Werden die Gesetze des Bundes von der Volkskammer beschlossen, so bedürfen sie zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung der Länderkammer, sofern die Verfassung dies vorsieht; im übrigen steht der Länderkammer das Recht des Einspruchs zu.
(2) In der Volkskammer werden Gesetzesvorlagen durch deren Mitglieder, durch die Regierung oder auf Beschluß der Länderkammer eingebracht. Es sind mindestens zwei Lesungen vorzusehen und den Ausschüssen ist hinreichend Zeit zur Beratung einzuräumen.
(3) Vorlagen der Regierung sind der Volkskammer zusammen mit einer Stellungnahme der Länderkammer, Vorlagen der Länderkammer sind ihr mit einer Stellungnahme der Regierung zuzuleiten. Die Frist zur Stellungnahme beträgt sechs Wochen.
Artikel 91
(1) Der Zustimmung der Länderkammer bedürfen außer in den anderen in dieser Verfassung genannten Fällen Gesetze der Volkskammer über:
Änderungen der Ländergrenzen;
die Errichtung selbständiger Träger der bundeseigenen Verwaltung;
die Gerichtsverfassung;
die Verteilung der vom Bund erhobenen Steuern;
die Raumordnung und Fachplanungen des Bundes;
das Verwaltungsverfahren.
(2) War der Erlaß eines Gesetzes zustimmungsbedürftig, so gilt dies auch für nachfolgende Gesetzesänderungen.
Artikel 92
(1) Gesetze werden nach ihrer Annahme in der Volkskammer durch deren Präsidenten unverzüglich der Länderkammer zugeleitet.
(2) Die Länderkammer kann binnen zweier Wochen nach Eingang des Gesetzesbeschlusses verlangen, daß ein in gleicher Zahl aus Mitgliedern der Volkskammer und der Länderkammer für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeter Ausschuß einberufen wird. Die Zusammensetzung und das Verfahren dieses Ausschusses regelt eine Geschäftsordnung, die der Zustimmung der Volkskammer und der Länderkammer bedarf. Die in diesen Ausschuß entsandten Mitglieder der Länderkammer sind nicht an Weisungen gebunden. Ist zu einem Gesetz die Zustimmu ng der Länderkammer erforderlich, so können auch die Volkskammer und die Regierung die Einberufung verlangen. Schlägt der Ausschuß eine Änderung des Gesetzesbeschlusses vor, so hat die Volkskammer erneut Beschluß zu fassen.
(3) Soweit zu einem Gesetz die Zustimmung der Länderkammer nicht erforderlich ist, kann die Länderkammer, wenn das Verfahren nach Absatz 2 beendet ist, gegen ein von der Volkskammer beschlossenes Gesetz binnen einer Woche Einspruch einlegen. Die Einspruchsfrist beginnt im Falle des Absatzes 2 letzter Satz mit dem Eingang des von der Volkskammer erneut gefaßten Beschlusses, in allen anderen Fällen mit dem Abschluß des Verfahrens vor dem in Absatz 2 vorgesehenen Ausschuß.
(4) Wird der Einspruch mit der Mehrheit der Stimmen der Länderkammer beschlossen, so kann er durch Beschluß der Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer zurückgewiesen werden. Hat die Länderkammer den Einspruch mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln ihrer Stimmen beschlossen, so bedarf die Zurückweisung durch die Volkskammer einer Mehrheit von zwei Dritteln der Anwesenden, mindestens der Mehrheit der Mitglieder der Volkskammer.
Artikel 93
Ein von der Volkskammer beschlossenes Gesetz kommt zustande, wenn die Länderkammer zustimmt, den Antrag gemäß Artikel 92 Absatz 2 nicht stellt, innerhalb der Frist des Artikels 92 Absatz 3 keinen Einspruch einlegt oder ihn zurücknimmt oder wenn der Einspruch von der Volkskammer nach Maßgabe des Artikels 92 Absatz 4 überstimmt wird.
Artikel 94
(1) Durch Gesetz kann die Regierung zum Erlaß von Verordnungen ermächtigt werden. In der Verordnung ist die Rechtsgrundlage anzugeben. Gesetzesändernde Verordnungen sind ausgeschlossen.
(2) Das Gesetz kann bestimmen, daß vor Erlaß der Verordnung der zuständige Ausschuß der Volkskammer gehört wird und ihre Wirksamkeit davon abhängig gemacht wird, daß der Ausschuß der Verordnung nicht widerspricht. Ist ein Gesetz zustimmungspflichtig, so gilt dies auch für Verordnungen.
(3) Rahmengesetze können vorsehen, daß die Landtage Verordnungsermächtigungen unter entsprechender Anwendung der Absätze 1 und 2 erteilen.
Artikel 95
Der Bund und die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit ihnen die Verfassung dieses Recht ausdrücklich zuweist. Auf den anderen Gebieten haben die Länder die Gesetzgebungsbefugnis, soweit und solange der Bund von seinem Recht keinen Gebrauch gemacht hat. Der Bund kann auf den Gebieten seiner Gesetzgebung Rahmengesetze erlassen.
Artikel 96
Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung über:
die auswärtigen Angelegenheiten;
die Staatsbürgerschaft;
das bürgerliche Recht und das Zivilprozeßrecht, das Strafrecht und das Strafprozeßrecht, das Arbeits- und Sozialrecht einschließlich der Betriebsverfassung und des Verfahrensrechts, die Gerichtsverfassung;
die Freizügigkeit, das Paßwesen, die Ein- und Auswanderung und die Auslieferung;
das Währungs-, Geld- und Münzwesen, Maße und Gewichte sowie die Zeitbestimmung;
die Einheit des Zoll- und Handelsgebietes, die Handels- und Schiffahrtsverträge, die Freizügigkeit des Warenverkehrs und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Auslande einschließlich des Zolls und des Grenzschutzes;
das Recht der Wirtschaft einschließlich der Unternehmensverfassung;
das Bodenrecht und den Grundstücksverkehr einschließlich des Rechts der Enteignung;
den Bergbau, die Energieversorgung einschließlich des Rechts der Kernenergie;
die Angelegenheiten der Verteidigung;
die Reichsbahn und den Luftverkehr, die Bundeswasserstraßen und die Autobahnen;
das Post- und Fernmeldewesen;
die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts stehenden Personen;
den gewerblichen Rechtsschutz, das Urheberrecht und das Verlagsrecht;
die Organisation der Kriminalpolizei, der internationalen Verbrechensbekämpfung sowie der Spionageabwehr;
die Statistik für Bundeszwecke;
die anderen in dieser Verfassung vorgesehenen Fälle.
Artikel 97
Die Länder haben die ausschließliche Gesetzgebung über
das Länderstaatsrecht;
die Länderraumordnung;
das Recht der Gefahrenabwehr;
die Einrichtung von selbständigen Trägern der Landesverwaltung;
die Errichtung der Gerichtsbezirke;
die Errichtung der Träger der Kommunalautonomie und das Kommunalrecht;
den Natur- und Landschaftsschutz;
das Bauordnungsrecht;
die Errichtung von Universitäten und Fachhochschulen;
das Archiv- und Bibliothekswesen in den Ländern und die Kulturförderung;
die Denkmalpflege in den Ländern;
die Schmalspur- und die Seilbahnen;
das Forst- und Jagdwesen und die Binnenfischerei;
die Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Hausmüll und Bauschutt;
das Markt- und Messewesen.
Artikel 98
(1) Gesetzesvorlagen zu einem Volksentscheid werden durch Volksbegehren beim Präsidenten der Republik eingebracht. Dem Volksbegehren muß ein ausgearbeiteter und mit Gründen versehener Gesetzentwurf zugrunde liegen. Im Entwurf sind neun Vertrauensleute zu benennen. Der Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn das Begehren von 750.000 stimmberechtigten Bürgern gestellt wird.
(2) Ein Volksentscheid über den Staatshaushalt findet nicht statt.
(3) Der Präsident legt den Entwurf unverzüglich der Regierung vor. Hat er Zweifel an der Zulässigkeit des Volksbegehrens, so beantragt er innerhalb von vier Wochen eine Entscheidung des Verfassungsgerichts; die Vertrauensleute sind am Verfahren zu beteiligen.
(4) Der Ministerpräsident unterbreitet das Volksbegehren zugleich mit einer Stellungnahme der Regierung binnen eines Monats der Volkskammer. Die Vertrauensleute sind zu den Beratungen der zuständigen Ausschüsse der Volkskammer hinzuzuziehen und haben in ihnen das Rederecht. Der Volksentscheid unterbleibt, wenn die Volkskammer die Gesetzesvorlage innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Unterbreitung unverändert oder in einer Fassung, der zwei Drittel der Vertrauensleute zugestimmt haben, annimmt. Bei der Berichterstattung des Ausschusses steht der Vertretung des Volksbegehrens das Rederecht zu. Im übrigen ist der Volksentscheid binnen zehn Wochen nach Ablauf der in Satz 3 genannten Frist herbeizuführen. Den Trägern des Volksbegehrens ist innerhalb dieser Zeit in den öffentlich-rechtlichen Massenmedien Gelegenheit zur unentgeltlichen Werbung für ihr Anliegen zu geben.
(5) Beim Volksentscheid kann nur mit "ja" oder "nein" abgestimmt werden. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
(6) Das Verfahren wird durch Gesetz geregelt.
Artikel 99
(1) Die nach den Vorschriften dieser Verfassung zustande gekommenen Gesetze werden nach Gegenzeichnung durch den Ministerpräsidenten vom Präsidenten der Volkskammer ausgefertigt und im Gesetzblatt verkündet.
(2) Verordnungen sind im Gesetzblatt zu veröffentlichen.
(3) Jedes Gesetz und jede Verordnung tritt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem 14. Tag nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das Gesetzblatt erscheint.
Artikel 100
(1) Diese Verfassung kann nur durch ein Gesetz der Volkskammer geändert werden, das der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder der Volkskammer bedarf. Es muß den Wortlaut der Verfassung ausdrücklich ändern oder ergänzen. Es bedarf der Bestätigung in einem Volksentscheid.
(2) Eine Änderung der Verfassung, die die in den Artikeln 1, 40, 42, 89 und 107 niedergelegten Grundsätze in Frage stellen, ist unzulässig.
2. Abschnitt
Die Verwaltung
Artikel 101
Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, soweit diese Verfassung nichts anderes bestimmt oder zuläßt.
Artikel 102
(1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung der Länderkammer etwas anderes bestimmen. Die Bundesregierung kann mit Zustimmung der Länderkammer allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen.
(2) Die Regierung des Bundes übt die Rechtsaufsicht aus. Sie kann zu diesem Zweck Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden.
(3) Wird Beanstandungen nicht abgeholfen, so entscheidet die Länderkammer, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen den Beschluß der Länderkammer kann das Verfassungsgericht angerufen werden.
Artikel 103
Führt der Bund die Gesetze durch bundeseigene Verwaltung oder durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts aus, so werden die allgemeinen Verwaltungsvorschriften von der Regierung erlassen. Das gleiche gilt für die Einrichtung der Behörden.
Artikel 104
(1) In bundeseigener Verwaltung werden geführt
der auswärtige Dienst;
die Finanzverwaltung nach Maßgabe des Art. 118 und der Zoll;
die Genehmigung und die Überwachung kerntechnischer Anlagen;
die Deutsche Post;
Bundesstraßen einschließlich der Bundeswasserstraßen;
der Luftverkehr;
die Streitkräfte einschließlich der Grenztruppen;
die Spionageabwehr;
die Kriminalpolizei.
(2) Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, kann der Bund für Angelegenheiten, auf denen die Länder nicht ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit haben, Bundesämter einschließlich eines eigenen Verwaltungsunterbaus oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts errichten.
Artikel 105
(1) Der Bund kann bei der Erfüllung der Aufgaben der Länder mitwirken, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist. Die Mitwirkung des Bundes ist in Staatsverträgen zu vereinbaren. In den Verträgen sind Bestimmungen über das Verfahren und über die Finanzierung vorzusehen. Die Bereitstellung der Mittel bleibt der Feststellung in den Haushaltsgesetzen des Bundes und der Länder vorbehalten.
(2) Die Regierung des Bundes und die Länderkammer sind über die Durchführung der Gemeinschaftsaufgaben zu unterrichten.
Artikel 106
(1) Durch Gesetz wird eine unabhängige Staatsbank als bundesunmittelbare juristische Person des öffentlichen Rechts errichtet.
(2) Die Staatsbank hat unter besonderer Berücksichtigung des Zieles der Vollbeschäftigung den Erfordernissen der Preisstabilität, des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und eines angemessenen Wirtschaftswachstums Rechnung zu tragen.
(3) Die Mitglieder des Vorstandes der Staatsbank werden von dem beim Präsidenten einzurichtenden Wahlausschuß gewählt. Diesem gehören neben den Mitgliedern des Wahlausschusses nach Artikel 125 Absatz 3 (Rechnungshof) fünf weitere Mitglieder nach Maßgabe des Einrichtungsgesetzes an.
(4) Der Finanzminister und der Vorsitzende des Finanzausschusses der Volkskammer haben das Recht, an den Sitzungen des Vorstandes der Staatsbank teilzunehmen.
3. Abschnitt
Die Rechtsprechung
Artikel 107
Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut. Die Richter sind unabhängig und nur der Verfassung und dem Gesetz unterworfen.
Artikel 108
(1) Die rechtsprechende Gewalt wird durch das Verfassungsgericht und durch andere Gerichte des Bundes und der Länder für Straftaten und zivil-, familien-, verwaltungs-, finanz-, arbeits- und sozialrechtliche Streitigkeiten sowie durch gesellschaftliche Gerichte ausgeübt.
(2) Soweit Gerichtszweige noch nicht bestehen, bedarf ihre Einführung des Gesetzes. Ausnahmegerichte sind unzulässig.
Artikel 109
(1) Das Verfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes. Das Verfassungsgericht gibt sich eine Geschäftsordnung.
(2) Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts sind unanfechtbar. Die Entscheidungsformel bindet die Organe des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.
(3) Die Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit eines Rechtssatzes hat Gesetzeskraft. Die Entscheidungsformel ist im Gesetzblatt zu veröffentlichen.
Artikel 110
Das Verfassungsgericht entscheidet
über Verfassungsbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gegen die Verletzung ihrer Menschen- und Bürgerrechte durch die öffentliche Gewalt;
über Zweifel an der Vereinbarkeit von Bundesrecht mit dieser Verfassung auf Antrag eines Fünftels der Mitglieder der Volkskammer, der Regierung des Bundes oder einer Landesregierung;
über Zweifel an der Vereinbarkeit von Verträgen gemäß Artikel 80 mit dieser Verfassung nach Beginn des Gesetzgebungsverfahrens auf Antrag eines Drittels der Mitglieder der Volkskammer oder einer Landesregierung;
über Zweifel an der Vereinbarkeit von Landesrecht mit dieser Verfassung und mit sonstigem Recht des Bundes auf Antrag eines Drittels der Mitglieder der Volkskammer, der Regierung des Bundes oder einer Landesregierung;
auf Antrag eines Gerichts über die Vereinbarkeit eines Gesetzes des Bundes oder von Landesgesetzen mit dieser Verfassung, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit des betreffenden Gesetzes überzeugt ist und dies für die gerichtliche Entscheidung von Bedeutung ist;
auf Antrag eines Gerichts über Zweifel, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des innerstaatlichen Rechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den einzelnen erzeugt;
aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten von Bundesorganen oder anderer Beteiligter, die in dieser Verfassung oder in Geschäftsordnungen oberster Bundesorgane mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, in besondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bund und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg angegeben ist;
über Beschwerden von Trägern der Kommunalautonomie und anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften wegen Verletzung ihrer Rechte.
Es entscheidet ferner in den anderen ihm von der Verfassung und vom Gesetz zugewiesenen Fällen.
Artikel 111
(1) Das Verfassungsgericht besteht aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten und sechs Verfassungsrichtern. Sie dürfen während ihrer Amtszeit keinem anderen staatlichen Organ angehören.
(2) Das Verfassungsgericht bildet einen Senat und drei Kammern, die die Entscheidungen des Senats vorbereiten. Die Kammern können über Verfassungsbeschwerden und Richtervorlagen einstimmig befinden, wenn der Senat in der gleichen Rechtsfrage schon geurteilt hat oder die Sache von geringer Bedeutung oder die Rechtslage offensichtlich ist.
(3) Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist gebührenfrei.
Artikel 112
(1) Die Richter des Vefassungsgerichtes werden von einem beim Präsidenten der Republik einzurichtenden Richterwahlausschuß auf die Dauer von 12 Jahren gewählt. Eine Wiederwahl ist ausgeschlossen.
(2) Der Richterwahlausschuß besteht aus
- dem Präsidenten der Republik als Vorsitzendem;
- je zwei weisungsunabhängigen, von den Länderregierungen bestellten Bevollmächtigten sowie einer doppelten Anzahl von Abgeordneten der Volkskammer, die nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bestimmt werden.
(3) Der Ausschuß entscheidet mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen seiner Mitglieder.
Artikel 113
(1) Die Rechtsstellung der Richter ist durch besonderes Gesetz zu regeln.
(2) Die Bundesrichter werden von einem Ausschuß gewählt, der entsprechend der Vorschrift des Artikels 112 Absatz 2, ergänzt um den jeweiligen Fachminister, gebildet wird. Der Ausschuß entscheidet mit der Mehrheit der Stimmen seiner Mitglieder.
(3) Die Berufsrichter werden auf Lebenszeit ernannt. Sie können gegen ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, die die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Das Gesetz kann eine Altersgrenze festsetzen, bei deren Erreichung Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderungen der Gerichtsbezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder unter Belassung des vollen Gehalts in den Ruhestand versetzt werden.
IV. Kapitel
Die Staatsfinanzen
Artikel 114
(1) Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit die Verfassung nichts anderes bestimmt. Gesetze des Bundes, die Geldleistungen gewähren, müssen bestimmen, daß die Geldleistungen vom Bund getragen werden.
(2) Der Bund kann den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Träger der Kommunalautonomie gewähren, die zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. Finanzhilfen können auch für Investitionen zur Förderung des Umweltschutzes und zur Verbesserung der Agrarstruktur gewährt werden. Das Nähere wird durch Gesetz bestimmt, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf.
Artikel 115
(1) Der Bund hat die Gesetzgebung über Zölle und Steuern, soweit sie nicht nach Satz 2 den Ländern zusteht. Die Länder haben die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern.
(2) Zölle, Steuern und sonstige Abgaben dürfen nur auf der Grundlage gesetzlicher Vorschriften erhoben werden.
(3) Gesetze des Bundes über Steuern, deren Aufkommen den Ländern ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung der Länderkammer.
Artikel 116
(1) Das Aufkommen folgender Steuern steht dem Bund zu:
- die Zölle,
- die Verbrauchssteuern, soweit sie nicht nach Absatz 4 dem Bund und den Ländern gemeinsam oder nach Absatz 3 den Trägern der Kommunalautonomie zustehen,
- die Kapitalverkehrssteuern,
- die Versicherungssteuer.
(2) Das Aufkommen folgender Steuern steht den Ländern zu:
- die Grunderwerbssteuer,
- die Vermögenssteuer,
- die Kraftfahrzeugsteuer,
- die Erbschaftssteuer,
- die Rennwett- und Lotteriesteuern.
(3) Das Aufkommen folgender Steuern steht den Trägern der Kommunalautonomie zu:
- die Gewerbesteuer,
- die Grundsteuer,
- die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis.
(4) Das Aufkommen der Einkommenssteuer, der Körperschaftsteuer und der Umsatzsteuer steht dem Bund und den Ländern gemeinsam zu (Gemeinschaftssteuern), soweit das Aufkommen der Einkommenssteuer nicht nach Absatz 5 den Trägern der Kommunalautonomie zugewiesen wird. Die Anteile von Bund und Ländern werden durch Gesetz festgelegt, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf. Hierbei haben Bund und Länder im Rahmen der laufenden Einnahmen gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Die Festlegung ist so vorzunehmen, daß die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Gebiet des Bundes weitestmöglich hergestellt und gewahrt wird. Werden den Ländern durch Gesetz des Bundes zusätzliche Ausgaben auferlegt oder Einnahmen entzogen, so kann die Mehrbelastung durch Gesetz des Bundes, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, vorübergehend auch mit Finanzzuweisungen des Bundes ausgeglichen werden.
(5) Die Träger der Kommunalautonomie erhalten einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommenssteuer, der sie in die Lage versetzt, ihre Aufgaben zu erfüllen. Der Anteil wird von den Ländern an ihre Träger der Kommunalautonomie unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebensverhältnisse nach Maßgabe der Einwohnerzahl weitergeleitet. Das Nähere bestimmt ein Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf.
(6) Von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern fließt den Trägern der Kommunalautonomie insgesamt ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz zu. Die Landesgesetzgebung bestimmt im übrigen, ob und inwieweit das Aufkommen der Landessteuern den Trägern der Kommunalautonomie zufließt.
(7) Den Trägern der Kommunalautonomie ist das Recht einzuräumen, im Rahmen der Gesetze die Hebesätze der Gewerbesteuer und der Grundsteuer festzusetzen.
Artikel 117
(1) Das Aufkommen der Landessteuern und der Länderanteil am Aufkommen der Einkommens- und der Körperschaftssteuer stehen den einzelnen Ländern insofern zu, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden (örtliches Aufkommen). Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, können nähere Bestimmungen über die Abgrenzung sowie über Art und Umfang der Zerlegung des örtlichen Aufkommens getroffen werden. Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu.
(2) Durch Gesetz, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, ist sicherzustellen, daß die unterschiedliche Finanzkraft der Ländern angemessen ausgeglichen wird; hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Träger der Kommunalautonomie zu berücksichtigen. Das Gesetz kann auch bestimmen, daß der Bund aus seinen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs (Ergänzungszuweisungen) gewährt.
Artikel 118
(1) Der Bund und die Länder errichten Finanzverwaltungen.
(2) Zölle und die vom Bund geregelten Verbrauchssteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer werden durch Finanzbehörden des Bundes verwaltet. Der Aufbau dieser Behörden wird durch Bundesgesetz geregelt.
(3) Die übrigen Steuern werden durch die Finanzbehörden der Länder verwaltet. Der Aufbau dieser Behörden und die einheitliche Ausbildung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes werden durch Bundesgesetz geregelt, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf.
(4) Das von den Finanzbehörden des Bundes anzuwendende Verwaltungsverfahren wird durch Bundesgesetz geregelt. Das von den Finanzbehörden der Länder anzuwendende Verfahren wird durch Bundesgesetz geregelt, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf.
Artikel 119
(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig. Sie haben unter besonderer Berücksichtigung des Zieles der Vollbeschäftigung den Erfordernissen der Preisstabilität, des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts und eines angemessenen Wirtschaftswachstums Rechnung zu tragen.
(2) Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung der Länderkammer bedarf, können für den Bund und die Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für die Haushaltswirtschaft sowie für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt sowie zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts die Kreditaufnahme des Bundes, der Länder und der Träger der Kommunalautonomie sowie sonstiger öffentlicher Haushalte beschränkt werden.
Artikel 120
(1) Der Haushaltsplan des Bundes dient der Feststellung und Deckung des Finanzbedarfs, der zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes für ein Jahr erforderlich wird. Der beschlossene Haushaltsplan ist die verbindliche Grundlage für die Haushalts- und Wirtschaftsführung.
(2) Der Haushaltsplan des Bundes wird vor Beginn eines Haushaltsjahres durch Gesetz beschlossen.
(3) Im Haushaltsplan sind alle Einnnahmen und Ausgaben des Bundes aufzunehmen. Bei Staatsunternehmen brauchen nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden.
(4) Der Haushaltsplan ist in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen.
(5) Die Gesetzesvorlage nach Absatz 2 sowie Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplanes werden gleichzeitig mit der Zuleitung an die Länderkammer bei der Volkskammer eingebracht; die Länderkammer ist berechtigt, innerhalb von sechs Wochen, bei Änderungsvorlagen innerhalb von drei Wochen, zu den Vorlagen Stellung zu nehmen.
Artikel 121
(1) Ist bis zum Schluß des Rechnungsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr nicht durch Gesetz festgestellt, so ist bis zu seinem Inkrafttreten die Regierung ermächtigt, alle Ausgaben zu leisten, die nötig sind,
a) um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen,
b) um die rechtlich begründeten Verpflichtungen zu erfüllen,
c) um Bauten, Beschaffungen und sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern durch den Haushaltsplan des Vorjahres bereits Beträge bewilligt worden sind.
(2) Soweit nicht auf besonderem Gesetz beruhende Einnahmen aus Steuern und sonstigen Abgaben die Ausgaben unter Absatz 1 decken, darf die Regierung die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsführung erforderlichen Mittel bis zur Höhe eines Viertels der Kreditaufnahme des abgelaufenen Haushaltsjahres im Wege des Kredits flüssig machen.
Artikel 122
Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Ministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Über- und außerplanmäßige Ausgaben sollen durch Einsparungen bei anderen Ausgaben des Haushaltsplanes des Bundes ausgeglichen werden. Einzelheiten können durch Bundesgesetz bestimmt werden.
Artikel 123
Gesetze, welche die von der Regierung vorgeschlagenen Ausgaben des Haushaltsplanes erhöhen oder neue Aufgaben in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen, bedürfen der Zustimmung der Regierung. Das gleiche gilt für Gesetze, die Einnahmenminderungen in sich schließen oder für die Zukunft mit sich bringen.
Artikel 124
(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.
(2) Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.
(3) Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.
Artikel 125
(1) Der Minister der Finanzen hat der Volkskammer im Laufe des nächsten Jahres über alle Haushaltseinnahmen eines Rechnungsjahres sowie über ihre Verwendung und die Schulden des Bundes zur Entlastung der Regierung Rechenschaft zu legen. Der Rechnung ist ein Vermögensnachweis beizufügen.
(2) Die Prüfung der Haushaltsrechnung sowie der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung erfolgt durch den Rechnungshof des Bundes. Seine Mitglieder besitzen richterliche Unabhängigkeit. Artikel 65 Absatz 2 Satz 2 findet entsprechende Anwendung. Er hat der Regierung, der Volkskammer und der Länderkammer jährlich über die Ergebnisse seiner Tätigkeit zu berichten.
(3) Die Mitglieder des Rechnungshofes werden durch einen beim Präsidenten der Republik einzurichtenden Wahlausschuß gewählt. Diesem Ausschuß gehören an:
der Präsident als Vorsitzender;
der Präsident der Volkskammer;
die Mitglieder des Finanzausschusses der Volkskammer;
der Finanzminister;
die Finanzminister der Länder.
V. Kapitel
Übergangs- und Schlußbestimmungen
Artikel 126
(1) Nach Inkraftsetzung dieser Verfassung werden die Gesetze ausschließlich von den in dieser Verfassung vorgesehenen gesetzgebenden Körperschaften des Bundes und der Länder beschlossen.
(2) Als Bundesrecht gilt dasjenige Recht der Deutschen Demokratischen Republik fort, dessen Gegenstände nicht in der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis der Länder liegen.
(3) Als Landesrecht gilt dasjenige Recht der Deutschen Demokratischen Republik fort, dessen Gegenstände zur ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis der Länder gehören. Für eine Dauer von vier Jahren vom Inkrafttreten dieser Verfassung an können die Länder dieses Landesrecht nur gemeinsam und mit Zustimmung der Länderkammer ändern, ergänzen oder aufheben. Bis zum ersten Zusammentritt der Länderkammer kann die Volkskammer als Landesrecht fortgeltende Rechtsvorschriften ändern, ergänzen oder außer Kraft setzen.
Artikel 127
(1) Recht der Deutschen Demokratischen Republik gilt nach Maßgabe dieses Artikels fort, soweit es dieser Verfassung nicht widerspricht.
(2) Die Rechte gemäß den Artikeln 8 Absatz 2, 21 Absatz 4, 23 Absatz 3, 26 und 27 Absatz 3 Satz 4 bestehen bis zur Anpassung des geltenden Rechts an diese Verfassung nur in dem zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens bestehenden Umfang; die Anpassung muß spätestens am 31. Dezember 1990 vollzogen sein.
(3) Anlagen, die entgegen den Bestimmungen des Artikels 33 Absätze 2 und 3 Gefährdungen oder Beeinträchtigungen der natürlichen Umwelt verursachen, können für fünf Jahre vom Inkrafttreten dieser Verfassung an weiter betrieben werden, soweit sie das Maß der am 31. März 1990 von ihnen verursachten Emissionen nicht überschreiten und unverzüglich wirksame Maßnahmen zu deren schrittweiser Verminderung auf die von dieser Verfassung erlaubten Grenzwerte ergriffen werden. Die Bestimmungen des Artikels 33 Absatz 4 gelten für Altlasten nur nach Maßgabe des Gesetzes.
Artikel 128
Die in den Artikeln 21 Absatz 3 Satz 3 und 113 Absatz 1 erteilten Gesetzgebungsaufträge sind vom Bund und von den Ländern bis zum 31. Dezember 1990 zu erfüllen. Richter, die vor Inkrafttreten dieser Verfassung gewählt worden sind, bleiben bis zur Wirksamkeit des in Artikel 113 Absatz 1 genannten Gesetzes im Amt.
Artikel 129
(1) Mit dem Inkrafttreten dieser Verfassung sind die in Artikel 41 Absatz 1 genannten Länder errichtet.
(2) Die Volkskammer hat unverzüglich ein Gesetz zu verabschieden, welches die Ländergrenzen festlegt und vorläufige Regelungen über die Einrichtungen von Länderverwaltungen sowie von Regelungen für die Konstituierung der obersten Staatsorgane der Länder enthält (Ländererrichtungsgesetz). Dieses Gesetz bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder der Volkskammer.
Artikel 130
Anspruch auf bevorrechtigte Einbürgerung haben diejenigen, die oder deren Vorfahren aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse oder Religion in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 9. Mai 1945 verfolgt oder von Verfolgung bedroht wurden, wenn sie oder ihre Abkömmlinge erneut Diskriminierungen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit ausgesetzt sind.
Artikel 131
(1) Die Bodenreform und die Eigentumsentziehungen, die durch Artikel 24 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 bestätigt worden sind, sind unantastbar.
(2) Enteignungen und sonstige Formen der Eigentumsentziehung, die zum Zeitpunkt ihres Vollzugs in Übereinstimmung mit dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik erfolgten, bleiben unbeschadet formeller Unrichtigkeiten von Grundbüchern, Katastern und anderer öffentlicher Register wirksam. Das gleiche gilt für vermögenswerte Rechte, die Bürger nach dem Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik zurückgelassen haben und die in Übereinstimmung mit dem jeweils geltenden Recht der Deutschen Demokratischen Republik endgültig auf Dritte übertragen worden sind oder von Dritten genutzt werden. Nutzungen an derartigen vermögenswerten Rechten sind zu schützen. Die Nutzer haben Anspruch auf Eigentumserwerb nach den am 31. Dezember 1989 geltenden Rechtsvorschriften über die Bewertung, soweit das Eigentum in der Hand eines Trägers öffentlicher Gewalt ist. Soweit davon Wohnungen, Wohngrundstücke und für Erholungszwecke genutzte Grundstükke betroffen sind, haben dieses Recht die persönlichen Nutzer.
(3) Eigentum, das unter Verletzung des jeweils geltenden Rechts der Deutschen Demokratischen Republik entzogen worden ist, ist auf Antrag an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzuerstatten, soweit es sich noch in der Verfügung eines Trägers öffentlicher Gewalt befindet. Dies gilt nicht für Wohnungen und Wohngrundstücke sowie für Erholungszwecke genutzte Grundstücke. Es gilt auch nicht für Eigentum, das in die Verfügung von Genossenschaften und volkseigenen Unternehmen übergegangen ist.
(4) Ist eine Rückerstattung nach Absatz 3 ausgeschlossen, bleiben die inzwischen erfolgten Verfügungen wirksam. Die Rechtsstellung der Nutzer bestimmt sich nach Absatz 2 Sätze 3 bis 5. Nutzungen sind auch dann zu schützen, wenn eine Rückerstattung nach Absatz 3 stattfindet. Den früheren Eigentümern ist eine Entschädigung zu zahlen. Die Entschädigung ist auf gesetzlicher Grundlage unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten auf der Grundlage des im Zeitpunkt des Verlassens der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Bewertungsgesetzes zu bestimmen; dabei sind der Zeitpunkt und die besonderen persönlichen Umstände, die zum Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik führten, zu berücksichtigen. Die Entschädigung kann in Raten gezahlt werden. Bei Lastenausgleichszahlungen im Hinblick auf den Vermögensverlust ist die Entschädigung ausgeschlossen. In geeigneten Fällen ist ein einverständlicher Interessenausgleich zwischen den Beteiligten zu fördern, der an die Stelle von Entschädigungsleistungen tritt.
(5) Die vollen Eigentumsrechte an beweglichen Sachen, die nach den bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Rechtsvorschriften in der treuhänderischen Verwaltung des Staates oder eines sonstigen Treuhänders standen, sind auf Antrag der Berechtigten wiederherzustellen; soweit der Treuhänder darüber verfügt hat, sind die Erlöse auszuhändigen. Das gilt nicht für bewegliche Sachen, die von volkseigenen Betrieben oder Genossenschaften genutzt werden.
(6) Soweit das Eigentum an treuhänderisch verwaltetem unbeweglichem Vermögen nicht gemäß den nachfolgenden Vorschriften auf neue Rechtsträger übergeht, sind die vollen Eigentumsrechte der Berechtigten auf deren Antrag wiederherzustellen. Das Eigentum an treuhänderisch verwalteten Wohnungen, Wohngrundstücken und für Erholungszwecke genutzten Grundstücken geht auf die Träger der Kommunalautnonomie über, in deren Gebiet sie gelegen sind. Für die persönlichen Nutzer gelten die Vorschriften des Absatzes 2 Sätze 3 und 4. Das Eigentum an treuhänderisch verwaltetem unbeweglichem Genossenschaftsvermögen geht auf die nutzende Genossenschaft über. Das Eigentum an treuhänderisch verwaltetem unbeweglichem Betriebsvermögen geht auf den Treuhänder über. Es ist auf die nutzenden Betriebe zu übertragen, sobald sie die Rechtsform eines selbständigen Unternehmens annehmen. Das Eigentum an diesen Unternehmen steht dem Land zu, in dem sie ihren Sitz haben. Die Vorschriften des Absatzes 4 Sätze 4 bis 8 finden Anwendung.
Artikel 132
(1) Wird die Einheit durch einen Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland verwirklicht, so sind die Voraussetzungen, unter denen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für das gegenwärtige Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft gesetzt wird, durch Vereinbarung zu regeln. Die Erfüllung der völkerrechtlichen und außenwirtschaftlichen Verpflichtungen der Deutschen Demokratischen Republik muß sichergestellt sein.
(2) Die Vereinbarung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder der Volkskammer und der Bestätigung in einem Volksentscheid.
(3) Diese Vereinbarung soll Regelungen über die beschleunigte Angleichung der Wirtschaftskraft der auf dem gegenwärtigen Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik gelegenen Landesteile und der Lebensverhältnisse ihrer Bewohner an die im jetzigen Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Verhältnisse enthalten. Zur Verwirklichung des Rechts der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik auf Beteiligung an der demokratischen Selbstbestimmung des deutschen Volkes ist auf das Zusammentreten einer gesamtdeutschen verfassungsgebenden Versammlung hinzuwirken.
(4) Die Vereinbarung soll ferner vorsehen, daß die in dieser Verfassung garantierten Menschen- und Bürgerrechte auf dem gegenwärtigen Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik auch dann fortgelten, wenn sie Rechte begründen, die im Grundgesetz nicht enthalten sind. Dies gilt auch für die unmittelbare Bindung Dritter an diese Rechte. Sie sollen als Landesverfassungsrecht fortgelten; die Geltung des Artikels 31 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland soll insoweit ausgeschlossen sein. Die Vereinbarung soll vorsehen, daß Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik, die mit den vorgenannten Rechten vereinbar sind, nicht aber mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, abweichend von Artikel 31 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, als Landesrecht auf dem gegenwärtigen Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik fortgelten. Änderungen des nach diesem Absatz fortgeltenden Rechts bedürfen der Zustimmung aller auf dem gegenwärtigen Hoheitsgebiet der Deutschen Demokratischen Republik eingerichteten Länder.
Artikel 133
Bis zur Wahl des Präsidenten der Republik gemäß Artikel 85 nimmt der Präsident der Volkskammer dessen Aufgaben und Befugnisse wahr.
Artikel 134
Am Tage des Inkrafttretens dieser Verfassung verliert die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 in der zuletzt geänderten Fassung vom 5. April 1990 ihre Gültigkeit.
Artikel 135
(1) Diese Verfassung bedarf zu ihrer Annahme eines Beschlusses der Volkskammer mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder und einer Bestätigung durch Volksentscheid. Sie kann als vorläufiges Grundgesetz durch einen Beschluß der Volkskammer mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder in Kraft gesetzt werden.
(2) Die Verfassung wird vom Präsidenten der Volkskammer ausgefertigt und im Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik verkündet.
Artikel 136
Diese Verfassung verliert ihre Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von einer gesamtdeutschen verfassungsgebenden Versammlung beschlossen und durch einen Volksentscheid bestätigt worden ist, oder an dem Tage, an dem sie nach Eintritt der Voraussetzungen des Artikels 132 außer Kraft gesetzt wird.
Anlagen:
Unterschriften
Verfassungsentwurf
Mitglieder der Arbeits- und Expertengruppe
Der Arbeitsgruppe des Runden Tisches "Neue Verfassung der DDR" gehörten, zum Teil abwechselnd, an:
Herbert Blahnik, DBD; Ministerin Tatjana Böhm, Unabhängiger Frauenverband; Klaus Emmerich, FDGB (Sekretär der AG); Erich Fischer, SPD; Tatjana Forner, Unabhängiger Frauenverband; Bernd Gehrke, Vereinigte Linke; Erwin Gehrt, Bund Freier Demokraten; Karl-Friedrich Gruel, PDS; Reinhard Gruhl, Demokratie Jetzt; Rainer Hannemann, Demokratischer Aufbruch; Bernhard Hellner, CDU; Witho Holland, Bund Freier Demokraten; Rainer Huhle, Bauernverband e.V. der DDR; Elfgard Künstler, Bund Freier Demokraten; Mareile Löber, Grüne Liga; Dietrich Meltzer, CDU; Erich Pannach, Domoewina; Minister Gerd Poppe, Initiative Frieden und Menschenrechte; Gerd Quilitzsch, FDGB; Peter Schindler, Bauernverband e.V. der DDR; Gert Schoppa, Bauernverband e.V. der DDR; Richard Schröder, SPD; Werner Schulz, Neues Forum; Kerstin Spyrka, DBD; Gudrun Stecklina, Demokratie Jetzt; Wolfgang Templin, Initiative Frieden und Menschenrechte; Minister Wolfgang Ullmann, Demokratie Jetzt; Gerhard Weigt, Demokratie Jetzt; Christine Weiske, Grüne Partei; Klaus Wolfram, Neues Forum; Vera Wollenberger, Grüne Partei;
Expertengruppe:
Dr. sc. Tatjana Ansbach, Berlin; Prof. Dr. Axel Azzola, Darmstadt; Prof. Dr. Alexander von Brünneck, Hannover; Prof. Dr. sc. Bernhard Graefrath, Berlin; Dr. Bernd Hohmann, Berlin; Dr. Peter Müller, Oberkirchenratspräsident, Schwerin; Prof. Dr. Ulrich K. Preuß, Bremen; Dr. Gerd Quilitzsch, Berlin; Prof. Dr. Bernhard Schlink, Bonn; Prof. Dr. Karl-Heinz Schöneburg, Berlin; Dr. Dr. h. c. Helmut Simon, Bundesverfassungsrichter a.D., Karlsruhe; Doz. Dr. Fritz Tech, Berlin; Doz. Dr. sc. Hans-Jürgen Will, Berlin; Prof. Dr. sc. Rosemarie Will, Berlin
Redaktionsgruppe:
Dr. K. Emmerich (Sekretär); Dr sc. E. Fischer; Dr. sc. K.-F Gruel; R. Gruhl; Doz. Dipl.-Staatswiss. B. Hellner; Dr. D. Meltzer; Dr. P Müller; Dr. G. Weigt; Dr. H. J. Will; Prof. Dr. R. Will; K. Wolfram
Die Präambel wurde von der Schriftstellerin Christa Wolf verfaßt.